SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Unser Netzwerk der Gesundheit

"Bleiben Sie gesund!“ ist in der Corona-Pandemie zur festen Grußformel geworden. Damit ist im Grunde vor allem unser Immunsystem gemeint. Denn dieses komplexe und feine Netzwerk, das den gesamten Organismus durchzieht, hat die Aufgabe, uns vor Krankheiten zu schützen. Das tut es auf beeindruckende Weise. Es kann Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten erkennen und unschädlich machen, genauso Schadstoffe aus der Umwelt und krankhafte Veränderungen im eigenen Körper, wie beispielsweise Krebszellen.
WENN MAN DAS NATÜRLICHE AUSHEILEN VON INFEKTIONEN VERSTEHT, KANN MAN DARAUS SEHR EFFEKTIVE THERAPIEN ENTWICKELN.
DIRK BUSCH, VORSTANDSVORSITZENDER DES DZIF, TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN

Schutzwall gegen Krankheitserreger

Bereits die Haut und die Schleimhäute sind Teil des Immunsystems und bilden den äußeren Schutzwall gegen Krankheitserreger. Zentrale Aufgaben im Immunsystem übernehmen Leukozyten, die weißen Blutkörperchen, die über Lymphflüssigkeit und den Blutweg im Körper zirkulieren. Einige von ihnen, B- und T-Lymphozyten, lernen während ihrer Reifung im Thymus oder im Knochenmark, zwischen körpereigenen und fremden bzw. geschädigten Strukturen zu unterscheiden. 80 Prozent unserer Abwehrzellen findet man im Darm: Er übernimmt eine wichtige Rolle in der Regulation des körpereigenen Abwehrsystems.

Aber das Immunsystem weiß auch, welche Mikroorganismen nützlich für uns sind: Im Darm und auf der Haut bilden Bakterien und Pilze das körpereigene Mikrobiom. „Das Immunsystem erkennt sie als nützliche Freunde und ist bestrebt, ein gesundes Gleichgewicht herzustellen, eine sogenannte Homöostase“, erklärt Dirk Busch, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), der als Professor an der Technischen Universität München zu Infektionen im immungeschwächten Wirt forscht. „Es gibt kaum eine Erkrankung, die nicht in irgendeiner Form durch eine Störung dieser wichtigen Balance mit beeinflusst wird.“

Dazulernen, um schneller zu reagieren

Man unterscheidet das angeborene Immunsystem und das erworbene, adaptive. Sie agieren meist eng verzahnt miteinander. Das angeborene Immunsystem ist in praktisch allen Geweben zu finden, zum Beispiel in der Haut, den Schleimhäuten und auch im Gehirn. Es reagiert als erstes auf Eindringlinge wie Krankheitserreger oder Fremdkörper, die etwa über eine Wunde in den Körper gelangen. Gelingt das nicht ausreichend, wird das adaptive Immunsystem aktiv. Es besteht aus T-Zellen und Antikörper-produzierenden B-Zellen. Diese Schutztruppe geht Erreger sehr direkt an. So können „neutralisierende“ Antikörper das Anhaften und Eindringen von Viren oder Bakterien in Zellen blockieren, spezielle weiße Blutkörperchen infizierte Zellen abtöten oder die Vermehrung des Erregers reduzieren. Zudem merkt sich das adaptive Immunsystem, mit welchen Angreifern es bereits konfrontiert war – und kann beim nächsten Kontakt schneller aktiv werden.

Wie das adaptive Immunsystem auf Erreger reagiert, kann man sich als Schlüssel-Schloss-Prinzip vorstellen: „Jeder Erreger hat bestimmte Schlösser und das Immunsystem hat die passenden Schlüssel dazu“, sagt DZL-Forscher Professor Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité. „Manchmal passen die Schlüssel noch nicht richtig, können nachgeschliffen und verbessert werden. Als Forschende wollen wir bei einem neuen Erreger schnell wissen, welche Schlösser sich als Angriffspunkte eignen.“ Bei den Corona-Impfstoffen sei der Vorteil gewesen, dass ähnliche Viren bereits bekannt waren. „Wir wussten, dass das Immunsystem schon viele Schlüssel für das Spike-Protein parat hat und das Virus da sehr verwundbar ist. Bei weiteren Varianten ist nun jeweils die Frage, ob es dem Virus gelingen wird, die Immunantwort zu unterwandern und was das für Konsequenzen für die Erkrankung hat.“

Ständig aktiver Prozess

Mit Impfstoffen kann man den Körper auf zukünftige Angriffe trainieren. „Sie werden so konzipiert, dass unser Immunsystem gegen bestimmte Stellen im Erreger Immunantworten ausbildet, zum Beispiel in Form von Antikörpern oder als T-Zell-Antworten“, so Leif Erik Sander. „Wir wissen aber bis heute nicht ganz genau, wie das System diese Stellen auswählt und welche besonders gut funktionieren.“ Ziel der Forschung ist es, das für neue Erreger besser vorherzusagen – um schnell reagieren und noch mehr hochwirksame Impfstoffe entwickeln zu können.

Die körpereigene Abwehr ist stets in Bereitschaft und das in jedem Organ. „Das Immunsystem genießt nur wenige Ruhephasen. Es interagiert ständig mit der Außenwelt, dem Mikrobiom oder auch mit der Nahrung“, erläutert Dirk Busch vom DZIF. Wolle man Erkrankungen behandeln, könne man vor allem vom gesunden Organismus oder von Genesenen lernen. Bei seiner Forschung sind besonders immungeschwächte Patientinnen und Patienten im Fokus: „In diesem Fall ist die Immunabwehr geschädigt, beispielsweise durch eine Chemotherapie. Dann kann es zum Aufflammen von schweren Infektionen kommen, auch durch Erreger, die bei gesunden Menschen ein ganzes Leben lang im Körper verharren können, ohne dass sie sichtbar werden oder fühlbar krank machen, etwa Herpes-Viren.“
JEDER ERREGER HAT BESTIMMTE SCHLÖSSER UND DAS IMMUNSYSTEM SUCHT RELATIV SCHNELL DIE PASSENDEN SCHLÜSSEL HERAUS.
LEIF ERIK SANDER, DZL-FORSCHER, PROFESSOR AN DER MEDIZINISCHEN KLINIK DER CHARITÉ
GLÜCKLICHERWEISE ENTSTEHT KREBS NUR IN AUSNAHMESITUATIONEN, ETWA WENN DAS IMMUNSYSTEM SCHWACHSTELLEN AUFWEIST.
JÜRGEN BECKER, DKTK-PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN

Angriff gegen eigene Strukturen

Manchmal ist unsere körpereigene Abwehr auch übereifrig und richtet Schaden an. Sie kann beispielsweise auf Krankheitserreger überreagieren – wie etwa beim Zytokin-Sturm, den viele schwer an COVID-19 erkrankte Menschen erleiden. Eine Herzmuskelentzündung kann durch eine Überreaktion chronisch werden und zu einer Herzschwäche führen. Bei Allergien reagiert das Immunsystem überschießend auf Pollen oder Nahrungsbestandteile. Bei Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Rheuma oder Multipler Sklerose ist das Immunsystem ebenfalls fehlgesteuert und greift körpereigene Strukturen an.

Das Immunsystem ist hochkomplex und daher in seiner Gesamtheit schwer greifbar. Diagnostisch versucht man, durch sogenannte Immunmonitoring-Untersuchungen den aktuellen Status zu bestimmen: Dazu untersucht man meist Immunzellen oder andere Bestandteile des Bluts, die dem System angehören. So können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte unter anderem erkennen, welche Auswirkungen bestimmte Therapien auf das Immunsystem haben oder ob ein Ansprechen auf Impfungen nachweisbar ist. „Je mehr wir über diese Biomarker wissen, desto besser können wir sie für Diagnostik und Behandlung nutzen“, erklärt Dirk Busch.

Immunsystem gezielt nutzen

Vor allem in der Krebstherapie will man die körpereigene Abwehr nutzen – indem man die Abwehr mit Hilfe einer Immuntherapie wieder ankurbelt und so den Krebs bekämpft. Längst nicht alle neu entstehenden Krebszellen im Körper bilden Tumore, weil unser Immunsystem rechtzeitig krankhaft veränderte Zellen abbaut und damit verhindert, dass sie sich ausbreiten. „Bei den allermeisten Menschen sieht man spontane Immunantworten gegen den Tumor, zum Beispiel in Form von zellulärer adaptiver Immunität“, sagt Jürgen Becker, DKTK-Professor für Translationale Onkologie an der Universität Duisburg-Essen. „Glücklicherweise entsteht Krebs also nur in Ausnahmesituationen, etwa wenn das Immunsystem Schwachstellen aufweist oder der Tumor es schafft, Varianten auszubilden, die vom Immunsystem nicht mehr erkannt werden.“

Dieses Phänomen wird Immun-Escape genannt. Und es werden zunehmend spezielle Therapeutika dagegen eingesetzt, die dem Immunsystem einen extra Kick geben. So kann es auch Tumorzellen abwehren, die versuchen, die Immunantwort zu umgehen. „Es werden also die körpereigenen Abwehrkräfte reaktiviert beziehungsweise neu aktiviert und diese bleiben stark, auch nach Abschluss der Therapie“, so Becker. Noch ist das leider mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Dazu zählt, neben Fällen wo sich das Immunsystem gegen normale Gewebe richtet, eine bleierne Müdigkeit, die zwar vorübergeht, aber sehr belastend sein kann. Wenn jemand gut auf die Mittel anspricht, wirken sie schnell und in der Regel profitieren die Betroffenen lange davon.

Vielfältige, komplexe Mechanismen

Eine der größten Herausforderungen für die Forschenden ist es, noch besser zu verstehen, welche Patientinnen und Patienten auf welche Therapie ansprechen. Denn die Mechanismen, über die Krebszellen das Immunsystem überwinden, sind sehr vielfältig. Den Expertinnen und Experten spielt dabei der rasante Fortschritt in der Diagnostik in die Hände, etwa mit der DNA-Sequenzierung. Wenn Jürgen Becker auf seine Anfangsjahre als Mediziner zurückschaut, wird ihm der große Unterschied zu den heutigen Werkzeugen und Methoden bewusst: „Ich habe die Phase miterlebt, in der wir in Bezug auf Hautkrebs zwar Therapieoptionen hatten, aber wenn man ehrlich ist, konnten wir in fortgeschrittenen Fällen oft nur eine Sterbebegleitung leisten. Heute können wir Hautkrebs bei einem Großteil der Betroffenen in eine chronische Erkrankung umwandeln, mit der sie leben können.“ Er glaubt, dass die Immuntherapie noch lange nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft hat: „Deshalb brauchen wir weiterhin starke Grundlagenforschung und klinische Studien mit entsprechender Begleitforschung – eben das ganze Portfolio der translationalen Forschung.“

Das Immunsystem erklärt

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