SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Diabetes hat viele Ursachen. Ent­sprechend vielfältig sind die gesund­heitlichen Folgen dieser Stoff­wechsel­störung sowie das Risiko für schwere Ver­läufe. Dank der Ent­deckung von sechs klar differen­zierbaren Sub­typen schon bei einem Vor­stadium des Diabetes, dem sogenannten Prä­diabetes, lässt sich das Er­krankungs­risiko für die Be­troffenen präziser abschätzen und durch gezielte Vor­­beugung senken.

Diabetes-Risiko früh erkennen und mindern

Hinweis: Zu dem Thema „Subtypen bei Prädiabetes“ gibt es auch ein Interview als Podcast. Ein Player befindet sich am Ende des Artikels (hier geht es direkt zum Podcast). 

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Cluster 1

LEICHTES ÜBERGEWICHT, 
STOFFWECHSEL OK

GERINGES DIABETESRISIKO, 
GERINGE STERBLICHKEIT
DZD-WISSENSCHAFTLERINNEN UND -WISSENSCHAFTLER HABEN VERLÄSSLICHE WARNZEICHEN FÜR EINEN KÜNFTIGEN DIABETES GEFUNDEN.
Zuckerkrank wird man nicht über Nacht. Viel­mehr ver­ändert sich der Zucker- und Fettstoff­wechsel meist über Jahre hin­weg, bis er schließ­lich ent­gleist und in einen Dia­betes mündet. Wie schnell sich aus einer Vor­stufe des Diabetes (Prä­diabetes) ein mani­fester Diabetes ent­wickelt und welche Risiken für Folge­erkrankungen bestehen, ist jedoch von Patient zu Patient sehr unter­schiedlich. Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler des Deutschen Zentrum für Diabetes­forschung (DZD) suchten daher nach verläss­lichen Warn­zeichen für einen künftigen Diabetes und wurden fündig: „Wir haben klar gezeigt, dass es schon im Vor­stadium der Krank­heit sechs ver­schiedene Sub­typen gibt, die sich anhand von aus­gewählten Körper­merkmalen und Stoff­wechsel­eigenschaften unter­scheiden lassen. Die Sub­typen haben ein unterschiedlich hohes Risiko für Diabetes und die Entwicklung von Folge­erkrankungen“, erklärt Prof. Robert Wagner vom Institut für Diabetes­forschung und Metabolische Er­­krankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen.
Damit fasst er die Ergebnisse einer umfang­reichen Studie zusammen, die er als Erst­autor zusammen mit Wissen­schaftlern aus elf Forschungs-Institutionen in Deutschland, Ungarn, Groß­britannien und den USA kürzlich in der ange­sehenen Fach­zeitschrift Nature Medicine ver­öffentlicht hat. Das inter­nationale Team hat gewisser­maßen ge­erntet, was einst Prof. Hans-Ulrich Häring vom Universitäts­klinikum Tübingen säte: Der ehemalige DZD-Vorstand hat mit großem Weit­blick schon vor 25 Jahren die Tübinger Familien­studie und wenig später das Tübinger Lebens­stil­programm ins Le­ben gerufen. Denn schon damals wurde ver­mutet, dass sich hinter dem Sammel­begriff Diabetes kein ein­heitliches Krankheits­bild verbirgt. Vielmehr ahnte man, dass es vielfältige Ursachen, Aus­prägungen und Folge­erscheinungen eines gestörten Glukose­stoff­wechsels gibt.

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Cluster 2

SCHLANKE MENSCHEN, 
STOFFWECHSEL OK

GERINGES DIABETESRISIKO UND NIEDRIGES RISIKO FÜR KOMPLIKATIONEN, GERINGE STERBLICHKEIT

Sechs klar abgrenzbare Cluster

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Cluster 3

ÜBERGEWICHT, VISZERALES FETT (BAUCH UND BAUCHSPEICHELDRÜSE), HÄUFIG GENETISCHE VERANLAGUNG (DIABETES-RISIKOGEN), BILDET ZU WENIG INSULIN

HOHES DIABETESRISIKO
Mit den über einen langen Zeit­raum ge­sammelten Daten aus Tübingen ist es nun gelungen, ver­schiedene Sub­typen des Prä­diabetes zu identi­fizieren. Dazu wurden aus den Studien insgesamt 899 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 77 Jahren aus­gewählt, die als diabetes­gefährdet galten – sei es, weil sie über­gewichtig waren oder eng ver­wandt mit an Diabetes Er­krankten oder weil während einer Schwanger­schaft ihr Blut­zucker­spiegel über­mäßig angestiegen war. Diese ansonsten ge­sunden Per­sonen willigten in Gentests ein und ließen sich über mehr als vier Jahre hinweg wieder­holt Blut ab­nehmen sowie ihre Organe mit bild­gebenden Verfahren untersuchen. Durch diese umfang­reichen Erhebungen erhielten die Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler Informationen über Art und Menge der Zucker- und Fett­moleküle im Blut, den Fett­gehalt der Leber, die Ver­teilung des Körper­fetts sowie die Aus­prägung bestimmter Gene, die für das Diabetes­geschehen ent­scheidend sind. Diese Daten unterzog das Team um Prof. Andreas Fritsche, Letztautor der Studie, einer Cluster­analyse. Das Fazit: Anhand be­stimmter Merk­male lassen sich sechs klar von­einander abgrenzbare Cluster unter­scheiden, die als Subtypen des Prä­diabetes gelten können.
Lassen sich die Er­kenntnisse aus den Tübinger Langzeit­studien verall­gemeinern und damit für eine ziel­gerichtete Behandlung nutzen? Um diese wich­tige Frage zu klären, hat das DZD-Forschungs­team das­selbe Ver­fahren der Clusteranalyse an knapp 7.000 britischen Männern und Frauen erprobt. Als Test­personen der Whitehall-II-Kohorte hatten sie sich ganze 18 Jahre lang regel­mäßig medizinisch unter­suchen lassen. „Diese englische Kohorte ist also deutlich größer und war sehr viel länger beo­bachtet worden. Zwar hatten wir von den Studien­teilnehmern nicht alle Werte, die wir hier in Tübingen teils mit viel Aufwand erhoben haben. Trotz­dem konnten wir anhand von wenigen, einfach zu er­fassenden Körper­maßen und Labor­werten genau dieselben sechs Sub­typen wieder­finden“, erklärt Robert Wagner.

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Cluster 4

ÜBERGEWICHTIG ODER FETTLEIBIG (FETT EHER AN OBERSCHENKELN UND HÜFTEN, WENIGER AM BAUCH), STOFFWECHSEL JEDOCH NOCH RELATIV GESUND

GERINGES DIABETESRISIKO, GERINGE STERBLICHKEIT

Unterschiedlich hohes Risiko für Komplikationen

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Cluster 5

FETTLEIBIG, HÄUFIG FETTLEBER, INSULIN WIRKT NICHT MEHR RICHTIG

HOHES RISIKO FÜR DIABETES UND HERZ-KREISLAUF-ERKRANKUNGEN
Für Menschen mit Prädiabetes macht es einen großen Unterschied, welchen Subtyp sie verkörpern: Drei der neu identifizierten Cluster zeichnen sich durch ein niedriges, die übrigen drei durch ein erhöhtes Diabetesrisiko aus. Vertreter der Subtypen 1 und besonders 2 gelten als gesund und haben ein niedriges Risiko, an Komplikationen zu er­kranken; dem Cluster 2 gehören vor allem schlanke Menschen an. Das Cluster 4 bilden übergewichtige Personen, deren Stoffwechsel jedoch noch relativ gesund ist. Alle anderen Subtypen gehen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes oder gravierende Folgeerkrankungen einher: Menschen, die dem Subtyp 3 zugeordnet werden, bilden zu wenig Insulin und sind deshalb stark ge­fährdet, einen Diabetes zu entwickeln. Dagegen haben Men­schen vom Subtyp 5 eine ausgeprägte Fettleber und daher ebenfalls ein sehr großes Diabetes­risiko, weil ihr Körper resistent gegen die blut­zucker­senkende Wir­kung von Insulin ist. Betroffene mit einem Prä­diabetes vom Subtyp 6 haben ein deutlich höheres Risiko, dass ihre Nieren Schaden nehmen – noch bevor ihre Diabeteserkrankung offensichtlich wird. In dieser Gruppe ist auch die Sterb­lichkeit höher.

Gezielter vorbeugen

Die neuen Er­kenntnisse sind ein wichtiger Schritt in Richtung Präzisions­medizin. „Durch die Klassifizierung in Subtypen können wir künftig präziser als bisher abschätzen, ob jemand ein niedriges oder hohes Risiko für Diabetes oder eine Nierenerkrankung hat. Diesen Menschen wollen wir künftig Präventions­strategien aufzeigen, damit sie den weiteren Verlauf ihrer Stoffwechselstörung positiv be­einflussen können“, erklärt Robert Wagner. Wie das am besten gelingen kann wollen am Universitäts­klinikum Tübingen die Forschenden um den neu berufenen Direktor und DZD-Sprecher Prof. Andreas Birkenfeld heraus­finden. Sie unter­suchen dazu mehrere Hundert Personen, die den Subtyp 3 oder 5 ver­körpern und ein hohes Risiko haben, an Diabetes zu erkranken. Das DZD und seine zahl­reichen Partner-Institutionen bieten die Möglichkeit, solche umfangreichen Interventions­studien vergleichs­weise schnell und in hoher Qualität durchzuführen. Dazu sollen dem­nächst nicht nur in Tübingen Männer und Frauen mit Prädiabetes vom Subtyp 3 und 5 als Probanden ge­wonnen werden, sondern auch in den Universitätskliniken in Berlin, Düsseldorf, Dresden, Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München. Es ist geplant, dass die Hälfte der Studiengruppe zu bestimmten Zeiten fastet, die andere Hälfte erhält eine klassische Diät. Die neue Studie soll dazu beitragen, präzise Präventions- und Therapiestrategien für Menschen mit hohem Diabetes­risiko zu entwickeln.

Ein Ziel des DZD ist es, die passende Behandlung für die richtige Pa­tienten­gruppe zur richtigen Zeit zu finden. Forscherinnen und For­schern des DZD ist es bereits gelungen, in der Deutschen Diabetes Studie verschiedene Diabetes-Subtypen mit unterschiedlichen Risiken für Folge­­erkrankungen zu identifizieren. Diese Ergebnisse und die aktuelle Identi­fizierung von Subtypen im Vor­stadium des Typ-2-Diabetes sind wichtige Schritte in Richtung einer Präzisions­medizin bei Diabetes und seinen Begleit­erkrankungen.

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Cluster 6

FETTLEIBIG, VIEL FETT AM BAUCH (VISZERALES FETT) UND IM NIERENBEREICH

NIEDRIGES DIABETESRISIKO, HOHE STERBLICHKEIT, HOHES RISIKO FÜR NIERENSCHÄDEN – AUCH SCHON VOR DER ENTWICKLUNG EINES MANIFESTEN DIABETES
DIE PASSENDE BEHANDLUNG FÜR DIE RICHTIGE PATIENTENGRUPPE FINDEN, UM DIABETES UND FOLGEERKRANKUNGEN ZU VERMEIDEN

Podcast: 6 Subtypen des Prädiabetes mit Prof. Dr. Robert Wagner

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