SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Das menschliche Herz kann auf sehr verschiedene Weise krank werden. Am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung wollen Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler heraus­finden, wie sich schwache Herzen auf molekularer Ebene unter­scheiden. Dies könnte die Therapie revo­lutionieren.

Schwache Herzen individuell behandeln

Es beginnt meist beim Treppen­steigen: Die Luft wird knapp und im dritten Geschoss ist man erschöpft. Sammelt sich auch noch Wasser in den Beinen, liegt die Diagnose nahe – Herz­schwäche, medizinisch Herz­insuffizienz. Die meisten Menschen wissen, welches die Risiko­faktoren sind: hoher Blutdruck, Über­gewicht, zu wenig Bewegung, ungesundes Essen, Rauchen.
HERZSCHWÄCHE IST MIT JÄHRLICH RUND 420.000 FÄLLEN DIE HÄUFIGSTE DIAGNOSE FÜR EINE KRANKENHAUSEINWEISUNG.

Das Herz ist der Motor des Körpers

Aber was passiert da genau? „Das Herz ist der Motor unseres Körpers und in Aufbau und Funktion äußerst komplex“, sagt Prof. Stefanie Dimmeler, Vorstands­sprecherin des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Entsprechend viele Gründe kann es geben, wenn es versagt. Als großer Hohlmuskel ist es aus ver­schiedenen Zelltypen aufgebaut. Hormone und Nerven­impulse steuern den Muskel, versorgt wird er durch einen Kranz von Blut­gefäßen. Vier Klappen sorgen dafür, dass das Blut in die richtige Rich­tung fließt. 

Und überall können Fehler passieren: Klappen können undicht werden, die Gefäße verstopfen, Viren und Bakterien das Gewebe angreifen. Fast immer ist das Ergebnis ähnlich: Der Muskel nimmt Schaden und pumpt nicht mehr ausreichend sauer­stoff­reiches Blut in den Körper. Was dann passiert, dient dem Über­leben des Organismus, wird dem Herzen aber zum Ver­hängnis: Ein körper­eigener Mechanismus, die sogenannte neuro­humorale Kom­pensation, spornt das Herz zu mehr Leistung an – es soll schneller schlagen und besser kontra­hieren. Diese Über­lastung schädigt den Muskel dauer­haft und eine chronische Herz­schwäche entsteht.

Symptome lassen sich immer besser behandeln

Herzschwäche ist laut Deutschem Herzbericht mit jährlich rund 420.000 Fällen die häufigste Diagnose für eine Kranken­haus­einweisung. Ursachen für Herzschwäche können sein: koronare Herz­erkrankung und Herz­infarkt, hoher Blut­druck, kaputte Herz­klappen, schlecht aus­geheilte Herz­muskel­entzündungen und – seltener – erbliche Gen­veränderungen. Auch Begleit­erkrankungen wie Diabetes, Nieren­insuffizienz, Eisen­mangel oder Rhythmus­störungen hängen eng mit einer Herz­schwäche zusammen. Es kann die rechte oder die linke Herz­kammer betroffen sein, der Muskel kann Probleme beim Zusammen­ziehen haben oder steif sein und sich nicht gut füllen. Leo Tolstoi eröffnete seinen Roman „Anna Karenina“ mit dem Satz: „Alle glück­lichen Familien gleichen einander, jede un­glückliche Familie ist auf ihre eigene Weise un­glücklich.“ Auf die Herz­medizin bezogen könnte er lauten: „Gesunde Herzen gleichen einander, jedes kranke Herz ist auf seine eigene Weise krank.“ 

Die Behandlung hat in den ver­gangenen Jahr­zehnten viele Fort­schritte gemacht, vor allem durch Wirk­stoffe, die in die neuro­humorale Regulation eingreifen. Dies gilt vor allem für die Form der Herz­schwäche, bei der der Muskel sich schlecht zusammenziehen kann, um das Blut aus der Herzkammer auszuwerfen – die systolische Herz­schwäche; Systole bedeutet „Zusammen­ziehen“. Bei etwa der Hälfte der Herzschwäche­patientinnen und -patienten liegt ein anderes Problem vor. Ihre Herz­kammer füllt sich gar nicht erst richtig, weil sie zu steif ist, um sich auszudehnen. Für diese diastolische Herz­schwäche (Diastole bedeutet „Ausdehnen“) gibt es kaum Therapien. Manche Patienten haben auch beide Formen. 
„GESUNDE HERZEN GLEICHEN EINANDER, JEDES KRANKE HERZ IST AUF SEINE EIGENE WEISE KRANK.“
„Die Personalisierung bei der Therapie der Herz­schwäche beruht im Gegensatz zur Onko­logie derzeit vor allem auf klinischen Parametern, also den Unterschieden bei den Symptomen, Funktions­ein­schrän­kungen und Begleit­erkran­kungen“, sagt Prof. Gerd Hasenfuß vom DZHK-Standort Göttingen. Gerade bei der diastolischen Herz­schwäche gibt es klinisch jedoch kaum Unter­schiede zwischen den Patienten. Auf zellulärer und molekularer Ebene sieht das ganz anders aus, hier unter­scheiden sich die Formen teils erheblich. Hasenfuß: „Von einem Tumor kann man Gewebe entnehmen und ein ge­netisches und mole­kulares Profil für eine perso­nalisierte Be­handlung erstellen. Ins Herz können wir nicht so ohne Weiteres reinschauen.“

Auch die Phasen einer Herz­schwäche unterscheiden sich, bis zu 1.500 Gene ändern ihre Aktivität, erläutert Hasenfuß. So werden zu Beginn vermehrt Gene ab­gelesen, die den Abbau der Matrix be­günstigen, also des Gerüsts, das alle Herz­zellen zusammenhält. Später sind es Gene, die bei Ent­­zündungen aktiv werden und noch später Gene, die mit einer Fibrose assoziiert sind, also mit der Bildung von Binde­gewebe.

Das Herz Zelle für Zelle verstehen

Um all das besser zu verstehen, tauchen Prof. Norbert Hübner und sein Team vom Berliner DZHK-Standort mit sogenannten Single-Cell-Analysen tief in das Gewebe gesunder und kranker Herzen ein. Mithilfe modernster Technik und Künstlicher Intel­ligenz ermitteln sie, aus welchen Zell­arten sich das Gewebe zusammensetzt, welche Gene in einzelnen Zellen aktiv sind und wie die Zellen miteinander kommunizieren. Auf diese Weise erhalten sie einen Zell­atlas von gesunden und kranken Herzen und damit Hin­weise auf Ziel­strukturen für Therapien. 

So fanden sie etwa heraus, dass die Herzen von Frauen mehr Herz­muskel­zellen, die so genannten Kardio­myozyten, enthalten als die von Männern. „Bei Substanzen, die auf die Kardio­myozyten wirken, würde das die Do­sierung beeinflussen, wäre also ein Schritt Richtung perso­nalisierter Medizin“, sagt Norbert Hübner. Seiner Ansicht nach wird die Single-Cell-Technologie die Therapie von Herz­erkrankungen re­volutionieren. Im DZHK ist dies deshalb auch ein Schwer­punkt, an dem viele Gruppen beteiligt sind.

Bildgebende Verfahren nehmen das Herzgewebe unter die Lupe

Gold­standard in der Herz­schwäche­diagnostik war lange Zeit die Ultra­schall­untersuchung. Damit kann man erkennen, ob die Auswurf­fraktion verringert ist – Haupt­diagnosekriterium für eine systolische Herz­schwäche. Bei der diastolischen Herz­schwäche ist die Füllungs­phase des Herzens gestört. Bei dieser Herz­schwäche­form kommt es vor allem darauf an, die Gewebe­veränderungen im Herz­muskel besser zu verstehen, um Therapien individuell darauf abzustimmen. Ein Echo sagt nichts über das Gewebe aus, MRT-Verfahren können das aber immer besser. Prof. Eike Nagel vom DZHK-Standort RheinMain und weitere Gruppen im DZHK erforschen, ob sich damit ein steifer Herz­muskel genauer charak­terisieren lässt. Denn dieser kann auf ver­schiedene Weise entstehen – durch Narben­gewebe, Durch­blutungs­störungen, Wasser­einlagerungen oder Ent­zündungen. „Wenn wir wissen, was im Gewebe passiert, können wir passende Therapien anwenden und per MRT auch ver­folgen, ob sie anschlagen.“ Eine Studie am Standort Göttingen unter­sucht dem­nächst per MRT, welche Patienten von einem anti­fibrotischen Medi­kament profitieren, nachdem sie eine neue Herz­klappe erhalten haben.
DIE HERZEN VON FRAUEN ENTHALTEN MEHR HERZMUSKELZELLEN ALS DIE VON MÄNNERN.
DIE HYPOTHESE: GENETISCH VERÄNDERTE ZELLEN TRIGGERN ENTZÜNDUNGSREAKTIONEN IN DEN GEFÄSSEN.

Bedrohung aus dem Knochenmark

Ein relativ neuer Ansatz für ­ Herz-Kreislauf-Medizin ist die klonale Hämatopoese. Aus den Stamm­zellen im Knochen­mark entstehen in jeder Minute Millionen neue Blut­stammzellen, die sich weiter teilen und zu unter­schiedlichen Blut­zellen werden. Haben die Knochen­marks­zellen Mutationen, ent­stehen Klone von Tochter­zellen, die eben­falls diese Mu­tationen aufweisen. DZHK-Forscherinnen und -Forscher vom Standort Frankfurt konnten zeigen, dass solche Mu­tationen zu einer schlechteren Prog­nose von Patienten mit Herz­schwäche bei­tragen, auch wenn noch nicht klar ist, was da genau passiert. 

Die Hypothese: Genetisch ver­änderte Zellen triggern Ent­zündungs­reaktionen in den Gefäßen. Da auch Herz­schwäche entzündliche Anteile hat, will Prof. Andreas Zeiher vom Standort RheinMain untersuchen, ob Patienten mit bestimmten Blut­zell­klonen von einem ent­zündungshemmenden Medi­kament profitieren. „Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung indi­vidualisierter Therapie, denn Ent­zündungs­hemmung hat erhebliche Neben­wirkungen und wir würden so nur die Menschen behandeln, die auch wirklich etwas davon haben.“
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