SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Bei Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem Ganz Unerwartet die Zellen der Bauchspeicheldrüse bei Kindern und Jugendlichen. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung wollen Die Erkrankung mit einer neuen Immuntherapie verhindern.

Insulinspritze ade?

Stefan war ein kerngesundes Baby. Er lernte laufen und sprechen, tollte mit Freunden umher, besuchte den Kindergarten und kam in die Schule. Doch plötzlich häufen sich Beschwerden. Stefan ist ständig durstig, immer öfter klagt er über Schwindel und Übelkeit, manchmal nickt er mitten im Unterricht ein. Besorgt gehen die Eltern mit ihm zum Arzt. Ein Bluttest liefert die Erklärung: Ihr Kind leidet an Typ-1-Diabetes.

Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Die Ursache ist eine fehlerhafte Reaktion des Immunsystems. Die körpereigene Abwehr greift insulinproduzierende Zellen in der Bauchspeicheldrüse an und zerstört sie. Das Hormon Insulin ist aber lebenswichtig. Ohne es kann der im Blut zirkulierende Zucker (Glukose) nicht vom Körper genutzt werden, um daraus Energie zu gewinnen. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen täglich Insulin spritzen, da ihre Bauchspeicheldrüse kein oder nur sehr wenig Insulin produziert.

In manchen Familien kommt das Leiden gehäuft vor. Doch mehr als 80 Prozent der kleinen Patienten haben keine Verwandten mit Typ-1-Diabetes und werden von der Diagnose völlig überrascht. „Die Krankheit wird häufig zu spät erkannt", bestätigt Peter Achenbach, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetesforschung (IDF) am Helmholtz-Zentrum München, einem Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, kurz DZD.

Wenn die Krankheit sich zeigt, liegt bei etwa einem Drittel der Patienten bereits eine schwere Entgleisung des Stoffwechsels vor, die lebensbedrohlich sein kann. Peter Achenbach verfolgt gemeinsam mit seiner Kollegin Anette-Gabriele Ziegler, die das IDF leitet, ein ehrgeiziges Ziel: Künftig soll niemand mehr vom Typ-1-Diabetes überrascht werden – und wer eine Veranlagung für die Erkrankung trägt, soll den Ausbruch verzögern oder gar verhindern können.

Programm zur Früherkennung

Typ-1-Diabetes tritt vor allem dann auf, wenn bestimmte Risikogene vorliegen. Die Münchner Forscherinnen und Forscher haben gemeinsam mit Kooperationspartnern einen Gentest entwickelt, der zeigt, wie groß das Risiko ist, an Typ-1-Diabetes zu erkranken.

Ein paar Tropfen Blut – das genügt für die Untersuchung. Eigentlich beträgt das Risiko, an Typ-1-Diabetes zu erkranken, 0,4 Prozent. Haben Kinder jedoch Risikogene, werden zehn Prozent oder mehr vor ihrem sechsten Geburtstag krank. Sie haben ein 25-fach erhöhtes Krankheitsrisiko.

Damit möglichst viele Familien von dem neuen Gentest profitieren können, haben die Münchner Wissenschaftler zusammen mit DZD-Kollegen vom Paul Langerhans Institut Dresden (PLID) und Partnern aus Hannover das Früherkennungsprogramm Freder1k ins Leben gerufen. Eltern in Bayern, Niedersachsen und Sachsen können den Gentest bei ihren Neugeborenen direkt in der Geburtsklinik oder bei einem der ersten Besuche beim Kinderarzt kostenlos durchführen lassen.

Für Babys, deren Eltern oder Geschwister bereits Typ-1-Diabetes haben, wird der Test schon heute im ganzen Bundesgebiet angeboten. Hätte es diesen Test schon gegeben, als Stefan auf die Welt kam, wären seine Veranlagung gleich erkannt und seine Beschwerden frühzeitig als beginnende Zuckerkrankheit entlarvt worden.

Trainingsprogramm für Immunzellen

Die Forscher wollen aber noch mehr erreichen. Ihr Ziel ist es, die ursächliche Autoimmunreaktion zu verhindern, um die Stoffwechselerkrankung zu vermeiden. „Wir wollen erblich vorbelastete Kinder durch eine Art Training des Immunsystems vor dem Ausbruch eines Typ-1-Diabetes schützen", erläutert Peter Achenbach das neue Therapiekonzept der DZD-Forscher.

Durch die tägliche Gabe einer kleinen Menge des Hormons soll die körpereigene Abwehr Insulin als harmloses Eiweiß einschätzen und tolerieren lernen – ähnlich wie bei einer Hyposensibilisierung bei Allergien.
DAS ZIEL DER NEUEN IMMUNTHERAPIE IST ES, DIE BALANCE ZWISCHEN SCHÄDIGENDEN UND SCHÜTZENDEN ABWEHRZELLEN WIEDER HERZUSTELLEN.
Dass dieses Training den gewünschten Erfolg haben könnte, lässt die Vorstudie Pre-POINT erhoffen, an der 25 Kinder zwischen zwei und sieben Jahren mit erhöhtem Diabetesrisiko teilgenommen haben. Den Kindern wurde bis zu 18 Monate lang täglich Insulinpulver mit dem Essen verabreicht.

Danach fanden sich im Blut der Teilnehmer tatsächlich spezielle Immunantworten, die auf eine Toleranz gegenüber Insulin schließen lassen. Dieses Ergebnis ist gleich in zweierlei Hinsicht vielversprechend: „Wir konnten zeigen, dass die orale Gabe von Insulin den Kindern nicht schadet", erläutert Achenbach. „Und wir sehen einen dosisabhängigen Effekt des Insulins, wobei die höchste Dosis die Produktion schützender Immunzellen auslösen kann."
EIN NEUER GENTEST MIT EIN PAAR TROPFEN BLUT ZEIGT, WIE GROSS DAS RISIKO IST, AN TYP-1-DIABETES ZU ERKRANKEN.

Typ-1-Diabetes vorbeugen

Im vergangenen Jahr ist die Präventionsstudie POInT (Primary Oral Insulin Trial) gestartet – in Deutschland, Belgien, Schweden, Großbritannien und Polen. Ziel der Studie ist es, bei Babys mit einem erhöhten Typ-1-Diabetes-Risiko die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zu verhindern und so der Entstehung eines Typ-1-Diabetes vorzubeugen.

Die Kinder in der POInT-Studie erhalten bereits im Alter von wenigen Monaten bis zu ihrem dritten Geburtstag täglich zusammen mit einer Mahlzeit etwas Insulinpulver. Über die Schleimhäute des Mundes und des Verdauungstraktes aufgenommen, wird das Insulin vom Körper in kleine Bausteine zerlegt. Diese reichen aus, um vom Immunsystem erkannt zu werden. Sie haben jedoch keine Wirkung auf den Blutzuckerspiegel.

Durch das frühe Training – so die Hoffnung der Forscher – kann die Entstehung eines Typ-1-Diabetes vermieden werden. Falls sich diese vorbeugende Behandlung als erfolgreich erweist, könnte das für den Rest ihres Lebens bedeuten: Insulin-Spritze ade!
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