SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Pro Jahr erkranken in Deutschland 57.400 Männer an Prostatakrebs. Mit einem Anteil von 23 Prozent an allen Krebserkrankungen ist Prostatakrebs die häufigste Krebsart bei Männern, weit vor Lungenkrebs (14 Prozent), der zweithäufigsten Krebsart.

Ein Tumor im Sitz der Männlichkeit

Tumorzellen an charakteristischen Merkmalen eindeutig erkennen und mit zielgerichteten Wirkstoffen präzise ausschalten – das ist ein alter Traum der Krebsforscher. Die fachübergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) lässt diesen Traum in greifbare Nähe rücken.
PSMA – PROSTATA-SPEZIFISCHES
MEMBRAN-ANTIGEN
PSMA – mit diesem schlichten Kürzel geht eine große Hoffnung für Patienten mit Prostatakrebs einher. Es steht für „Prostata-spezifisches Membran-Antigen", ein
Protein, das sich auf der Oberfläche von Prostatazellen befindet. Auf gesunden Zellen ist PSMA selten, auf Krebszellen der Prostata aber tritt es sehr häufig auf – und zwar umso häufiger, je weiter die Krankheit fortgeschritten ist. Das macht PSMA zu einem vielversprechenden Marker, einer Art Flagge, die Krebszellen der Prostata eindeutig kennzeichnet.

Zugleich ist PSMA ein ideales Ziel für Wirkstoffe, die Tumorzellen präzise zerstören können. Denkbar wird diese Vorgehensweise dank kleiner Moleküle, die an PSMA binden und von Wissenschaftlern des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) entwickelt wurden: Mit unterschiedlichen radioaktiven Strahlern bestückt, eignen sich die Moleküle sowohl zur präzisen Diagnose als auch zur gezielten Therapie von Prostatakrebs. Für diese gänzlich neue Methode erhielt das Forscherteam den Erwin-Schrödinger-Preis 2018.

Tumorzellen präzise aufspüren

Neben dem Nuklearmediziner Uwe Haberkorn und dem Chemiker Michael Eisenhut gehören zum Team ein weiterer Chemiker und ein Biotechnologe. „Genau diese Kombination unterschiedlicher Fachrichtungen hat unsere Arbeit erst möglich gemacht – und den Durchbruch in dieser kurzen Zeit", sagt Klaus Kopka, Leiter der Abteilung Radiopharmazeutische Chemie im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

EIN NEUES NUKLEAR­MEDIZINISCHES VERFAHREN KANN KREBSZELLEN IN DER PROSTATA SOWOHL SICHTBAR MACHEN ALS AUCH ZERSTÖREN.
Für den Chemiker und Grundlagenforscher ist mit den passgenauen Substanzen nicht weniger als eine „neue Ära der Nuklearmedizin" angebrochen. Zusammen mit seinem Kollegen, dem Heidelberger Nuklearmediziner Frederik Giesel, koordiniert Kopka derzeit eine große diagnostische PSMA-Studie. Frederik Giesel zählt einige der Fachgebiete auf, die eingebunden sind: „Radiochemie und Radiopharmazie, Nuklearmedizin, Urologie und Pathologie".

Dass diese unterschiedlichen Disziplinen derart intensiv interagieren, ergänzt der Mediziner, sei durchaus etwas Besonderes. Genau diese enge fachübergreifende Zusammenarbeit über die Standortgrenzen der Zentren hinweg sei notwendig, um die allzu oft zwischen Forschung und klinischer Anwendung klaffende Lücke zu schließen und Erkenntnisse der Grundlagenforscher möglichst schnell in die Praxis zu übertragen.
Auf gesunden Prostatazellen ist das Oberflächenmerkmal PSMA selten, auf Krebszellen der Prostata aber tritt es sehr häufig auf – und zwar umso häufiger, je weiter die Krankheit fortgeschritten ist.
An dem Projekt ebenso maßgeblich beteiligt ist der Biotechnologe Matthias Eder. Er hat PSMA-11 – das zu diagnostischen Zwecken an das Oberflächenmolekül PSMA bindende Molekül – im Jahr 2011 mit Mitarbeitern der Abteilung Radiopharmazeutische Chemie im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg entwickelt. Mittlerweile ist Matthias Eder Professor für Radiopharmakaentwicklung an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, einem der sieben Standorte des DKTK.

An PSMA-11 haben die Wissenschaftler das schwach strahlende Radionuklid Gallium-68 (68Ga) gekoppelt. Wird dieses Konstrukt den Patienten verabreicht, bindet PSMA-11 an das verräterische Oberflächenprotein der Prostatakrebszellen. Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), ein bildgebendes Verfahren, macht diese Bindung sichtbar.

Dass sich das neue Diagnostikum grundsätzlich eignet, um Tumoren der Prostata und deren Metastasen zu erkennen, konnten die Wissenschaftler bereits in ersten klinischen Studien zeigen. Damit das Verfahren künftig ein fester Bestandteil der gesetzlichen Krankenversorgung werden kann, sind jedoch weitere klinische Prüfungen notwendig. Ende 2017 startete eine Studie mit geplanten 150 Prostatakrebspatienten, die bereits für eine Operation vorgemerkt sind.

Während des chirurgischen Eingriffs wird den Patienten Tumorgewebe entfernt und anschließend auf herkömmliche Weise mikroskopisch untersucht. Der feingewebliche Befund wird daraufhin mit dem bereits vor der Operation via PSMA-Methode ermittelten Ergebnis verglichen. Bis Ende 2019 sollen die vergleichenden Untersuchungen abgeschlossen sein.

Ein Ersatz für die Biopsie?

Noch kann das neue Verfahren die belastende Biopsie nicht ersetzen – die derzeit einzige verlässliche Methode, um das Stadium der Krebserkrankung zu ermitteln. Es könnte sie in Zukunft aber reduzieren.
„DANN MUSS DER ARZT NICHT GROSSFLÄCHIG DIE PROSTATA STANZEN"
„Dann muss der Arzt nicht großflächig die Prostata stanzen", erklärt Klaus Kopka den Vorteil, „sondern kann aufgrund einer PET-Vordiagnostik entscheiden, in welchem Teil der Prostata er Proben entnehmen soll." An einigen Unikliniken wird das neue Verfahren schon heute dazu benutzt, etwa dann, wenn eine Biopsie kein eindeutiges Ergebnis erbracht hat und ein zweites Mal biopsiert werden muss.

Und noch einen weiteren Nutzen verspricht die neue Methode: Mit ihr werden auch noch Metastasen erkannt, die übliche bildgebende Methoden nicht aufspüren können. Das Wissen darüber, ob und wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, ist entscheidend für die Therapie: Sind keine oder wenige Metastasen nachweisbar, folgt in der Regel eine Operation oder Strahlentherapie; im Falle vieler Tochterabsiedlungen kann eine Hormon- oder Chemotherapie wichtig sein.
DIE ÄRZTLICHE „LEITLINIE ZUR DIAGNOSE UND BEHANDLUNG DES PROSTATAKARZINOMS" EMPFIEHLT DIE BILDGEBUNG MIT DER PSMA-METHODE BEREITS SEIT 2016 IM FALLE DES WIEDERAUFTRETENS DER ERKRANKUNG.

Tumorzellen gezielt zerstören

Die Eigenschaft von PSMA-11, gezielt Krebszellen der Prostata anzusteuern, legt den Gedanken nahe, das Molekül auch zu nutzen, um Krebszellen zu zerstören. Allerdings: Die Strahlung des an PSMA-11 gekoppelten Gallium-68 reicht zwar aus, um Krebszellen sichtbar zu machen – nicht aber, um sie abzutöten. Dafür braucht es andere Kaliber. Die DKTK-Forscherin Martina Benešová hat PSMA-11 chemisch so verändert, dass auch stärkere Radionuklide wie der Betastrahler Lutetium-177 an das Molekül gebunden werden können. Das derart aufgerüstete Konstrukt (177Lu-PSMA-617) soll es ermöglichen, Tumoren von innen zu bestrahlen.

Mit unterschiedlich stark strahlenden radioaktiven Substanzen kombiniert, eignen sich die neuen Wirkstoffe sowohl zur Diagnose (orange) als auch zur Therapie (blau) von Prostatakrebs.
Von dieser Endoradiotherapie könnten vor allem Patienten profitieren, die einen Rückfall erlitten haben und bei denen gängige Behandlungen versagen. Erste Anwendungen in Einzelfällen lassen hoffen. Um aber zu zeigen, dass damit auch tatsächlich ein Überlebensvorteil einhergeht und dass die neue Therapie herkömmlichen Behandlungsweisen überlegen ist, bedarf es weiterer großer Studien. Eine Phase-III-Studie (VISION Trial) erfolgt derzeit in den USA initiiert durch die Firma Endocyte.

Derweil haben Matthias Eder in Freiburg und seine Heidelberger Kollegen schon weitere Ziele ins Auge gefasst. Sie wollen noch andere molekulare Flaggen finden, mit denen sich Prostatakrebszellen verraten. Dazu passende Wirkstoffe sollen auch jene Krebszellen aufspüren und zerstören, die PSMA nicht auf ihrer Oberfläche tragen – was bei immerhin rund zehn Prozent der Patienten der Fall ist. Die Fortschritte, welche die neuen Erkenntnisse Patienten mit Prostatakrebs versprechen, wünschen sich die Wissenschaftler des DKTK auch für Menschen, die an anderen Krebsarten leiden.
„WIR WOLLEN AUCH FÜR WEITERE TUMORERKRANKUNGEN GEEIGNETE ZIELSTRUKTUREN AUSFINDIG MACHEN UND AUCH FÜR SIE WIRKSAME RADIO­PHARMAKA ENTWICKELN."
Matthias Eder
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