#Herz-Kreislauf-Forschung
Blitzschlag ins Herz
Text: Christina Sartori
Ein Defibrillator ist für Patienten mit Herzrhythmusstörungen oft lebensrettend. Aber auch schmerzhaft. Wie man das Herz ohne Schmerzen wieder in den richtigen Takt bringt, daran arbeitet ein Team aus Ärzten und Physikern.
Der Weg zum Erfolg erfordert manchmal ein bisschen Übersetzung. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit sei nicht immer einfach, sagt Stefan Luther, Professor für biomedizinische Physik am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. „Vom ersten Artikel, den ich damals zu unserem gemeinsamen Thema gelesen habe, habe ich die Hälfte nicht verstanden – das war der medizinische Teil", erinnert er sich.
Erst im zweiten Teil sei es für ihn interessant geworden: Da stand nämlich eine Formulierung, die ihm als Physiker sehr vertraut gewesen sei. „Dieses Phänomen", hieß es im Text, „beschreiben wir durch folgendes Differentialgleichungssystem." „Da wusste ich sofort, was gemeint war!"
Stefan Luther will mit seiner Forschung Patienten helfen, die an lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen leiden. Gemeinsam mit seinem Kollegen Gerd Hasenfuß, dem Kardiologen und Vorsitzenden des Herzzentrums Göttingen, entwickelt er einen Defibrillator, der unregelmäßig schlagende Herzen wieder in ihren normalen Rhythmus versetzen kann. Und das ganz sanft. Denn der Elektroschock eines herkömmlichen Gerätes ist zwar lebensrettend – aber sehr schmerzhaft.
„WENN DER DEFIBRILLATOR ANSPRINGT, WERDEN BIS ZU 30 AMPERE DURCH DEN BRUSTKORB GEJAGT"
„Wenn der Defibrillator anspringt, werden bis zu 30 Ampere durch den Brustkorb gejagt", erklärt Stefan Luther. Gerd Hasenfuß kennt das Problem aus der täglichen Praxis. „Die Patienten berichten, es sei ein schreckliches Gefühl, wenn der Defi auslöst – als würde ein Blitz in den Körper einschlagen." Um den Patienten derart schmerzhafte Erlebnisse zu ersparen, arbeiten die beiden Forscher seit mehr als zehn Jahren intensiv zusammen.
Ein Physiker, der sich mit dem Herzen beschäftigt? Das sei „eigentlich gar nicht überraschend", meint Stefan Luther. Schließlich liegt dem Schlagen des Herzens ein physikalischer Prozess zugrunde: Ein elektrischer Trigger sorgt dafür, dass sich der Herzmuskel zusammenzieht und Schlag für Schlag rund 80 Milliliter Blut in den Körper- und Lungenkreislauf pumpt.
Normalerweise breite sich die elektrische Erregung „geordnet" im Herzmuskel aus. Zu ernsten Problemen komme es, wenn dieser Prozess „chaotisch" ablaufe. Der Arzt nennt das „Kammerflimmern" oder „Fibrillation". Der Physiker spricht von „Bifokalisation". Beide meinen das Gleiche.
Kleine Stromstöße mit großer Wirkung
Gemeinsam haben sich die Spitzenforscher aus den verschiedenen Disziplinen die Frage gestellt: Wie kann man die Defibrillatoren bauen, um Herzrhythmusstörungen zuverlässig, sicher und zugleich auch schmerzfrei zu beheben? Dafür müssen wir den lebenserhaltenden Stromschlag um bis zu 90 Prozent reduzieren, lautete ihre Antwort.
„WIR KÖNNEN NUR GEMEINSAM ERFOLGREICH SEIN."
Stefan Luther, Physiker am Max-Planck-Institut (links im Bild)
Gerd Hasenfuß, Kardiologie am Herzzentrum Göttingen (rechts im Bild)
Doch wie kann das gelingen? Ein erster Schritt war es, die elektrischen Vorgänge auf der Oberfläche des Herzens bildlich exakt darzustellen; daraufhin ließen sie eine genaue physikalische und mathematische Beschreibung folgen. Dann war ihnen klar: Herzrhythmusstörungen lassen sich statt mithilfe eines einzelnen großen elektrischen Impulses auch anders normalisieren. Und zwar durch mehrere schwache elektrische Impulse in einer bestimmten Abfolge.
Die schwachen elektrischen Impulse entstehen an Stellen, wo der Herzmuskel von Narbengewebe durchsetzt ist oder wo ihn ein Blutgefäß durchzieht. Stefan Luther beschreibt diese Stellen als „virtuelle Elektroden", die imstande sind, elektrische Unregelmäßigkeiten zu beseitigen. Gibt es ausreichend viele, verschwindet das elektrische Durcheinander überall im Herzmuskel gleichzeitig. Das Resultat: Alle Herzmuskelzellen schlagen wieder im richtigen Takt, synchron und stark.
Für den Effekt entscheidend sind die Anzahl und die Abfolge der schwachen elektrischen Impulse. An der optimalen Handhabe tüfteln Stefan Luther und Gerd Hasenfuß derzeit gemeinsam mit Studenten der Physik, Biologie und Medizin. Unterstützt werden die Forschungsarbeiten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, kurz DZHK.
Miteinander statt nacheinander
Ein großer Teil der Arbeiten erfolgt in einem zweistöckigen Neubau direkt gegenüber des Universitätsklinikums Göttingen, unweit des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation. Das weiße Gebäude mit seinen auffälligen roten, grünen und blauen Farbtupfern ist zu einem Eldorado der interdisziplinären Herzforschung des DZHK-Standortes
Göttingen geworden: Ausgerüstet mit modernster Technik, mit hochauflösenden Mikroskopen und vierdimensionaler Echokardiographie erkunden die Wissenschaftler die Funktion des Herzens. „Wir können und wollen diesen Weg nur zusammen gehen", sagt Stefan Luther. Erst die einen die Forschung vorantreiben und dann die anderen die Forschung in die Anwendung bringen zu lassen, diese Trennung hält der Physiker für falsch. Der Kardiologe Hasenfuß auch.
Herkömmliche Defis mit neuer Funktion
In Kürze soll ihr Niedrigenergie-Defibrillator in seine zweite Entwicklungsphase gehen: „Wir wollen kein neues Implantat erschaffen, sondern mit den derzeit vorhandenen Defibrillatoren arbeiten", sagt Luther. Die neue Funktion soll den bereits existierenden Defibrillatoren aufgesattelt werden. Sollte das einmal nicht gelingen, kann der konventionelle Defibrillator immer noch seinen starken Stromstoß abgeben. „Wenn man auf diese Weise die Mehrzahl der Herzrhythmusstörungen beenden könnte, ohne dass der Patient
etwas davon merkt – das wäre schon ein sehr großer Fortschritt", so Luther.