SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Ein Botenstoff zum Aufatmen?

Mit dem neuen Coronavirus verbreitete sich die Angst vor akuter Atemnot in Windeseile um die Welt. Eine Therapie gegen dieses Syndrom, das auch andere Ursachen als COVID-19 haben kann, gibt es nicht. Die Inhalation eines Immunbotenstoffes könnte das ändern, hofft Professorin Susanne Herold vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL).
Kein inneres Organ unseres Körpers ist Krankheitserregern so stark ausgesetzt wie die Lunge: Wir atmen täglich unzählige dieser Pathogene neben anderen Partikeln ein. Normalerweise wird unsere Lunge damit fertig, denn ihre Atemwege sind mit einer äußerst aktiven Schleimhaut ausgekleidet. Flimmerhärchen fangen Fremdkörper ein und transportieren sie mit mehr als 1000 Schlägen pro Minute fließend zurück in den Rachen, wo wir sie verschlucken oder abhusten. Durchdringen Bakterien dennoch diese Schleimschicht, werden sie von winzigen Fühlern der Deckzellen erkannt, die unsere angeborene Immunabwehr aktivieren. Aus dem umliegenden Gewebe eilen Fresszellen herbei: Diese Makrophagen verschlingen die Eindringlinge. Aus den Adern erhalten sie Hilfe von weißen Blutkörperchen und im Blut beginnt die Kaskade des Komplementsystems anzurollen, um die Zellmembran von Bakterien zu zerstören. Die angeborene Immunantwort hat für alle Erregertypen dieselben Waffen. Das später ins Spiel kommende adaptive Immunsystem reagiert dagegen individuell auf jedes Pathogen. Zentrale Vermittler sind hierbei dendritische Zellen, die Erreger verdauen und deren Bruchstücke auf ihrer Oberfläche präsentieren. So wandern sie zum nächstgelegenen Lymphknoten, wo sie die Produktion passender Antikörper und T-Zellen anregen, die die akute Infektion auslöschen und die langfristige Erinnerung an den Erreger aufrechterhalten.
EIN NEUARTIGES VIRUS LÄSST 
SICH NICHT SO LEICHT ABWEHREN.

Interferone schalten Viren aus

Ein neuartiges Virus lässt sich nicht so leicht abwehren. Erst wenn es eine Zelle infiziert hat, kann diese es erkennen und ihre Nachbarn warnen. Ihre Warnsignale sind die Interferone. Wenn diese Gewebshormone an benachbarte Zellen binden, setzen sie molekulare Stafetten in Gang, die lawinenartig in deren Kern laufen. Dort befehlen sie Genen die Produktion von Proteinen, die das Virus daran hindern, die Zelle zu entern oder für seine Vermehrung zu nutzen. Mehr als 300 verschiedene Proteine ruft ein Interferon-Alarm herbei. Im Idealfall bewirkt er schon im Rachenraum die Vernichtung des Virus. „Gegen COVID-19 ist eine frühzeitige Interferonantwort besonders wichtig“, sagt Susanne Herold, Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Denn anders als Grippeviren zum Beispiel, „mit denen wir Menschen seit langer Zeit leben“, sei unser Immunsystem auf das neue Coronavirus nicht eingestellt. „Wir sind weitgehend immunnaiv gegenüber Sars-CoV-2.“ Wenn die angeborene Abwehr in den oberen Atemwegen versage, könne der „Etagenwechsel“ der Viren in die unteren Atemwege zum Teil fatalere Konsequenzen haben als bei der Grippe. Bei Kindern komme das deshalb kaum vor, weil sie „eine ganz potente interferongetriggerte Immunabwehr in den oberen Atemwegen haben“.

Ein altbekannter Hoffnungsträger

Das lange schon verfügbare Medikament Cyclosporin A (CsA) könnte die Abwehrkraft gegen Coronaviren auch bei Erwachsenen erheblich erhöhen. Das hatten Susanne Herold und ihr Team schon kurz vor Ausbruch der Pandemie in einer Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) am Beispiel des MERS-Coronavirus präklinisch festgestellt. Eigentlich als Immunsuppressivum bekannt, das die Abstoßung von Transplantaten verhindert, hat CsA eine direkte antivirale Wirkung, die auch die Vermehrung von Coronaviren hemmt. „Es induziert starke Interferonantworten“, erklärt Herold. Patientinnen und Patienten könnten durch diese frühe Intervention vor schweren Verläufen bewahrt werden, wenn sie CsA gleich nach der Diagnose einer Corona-Infektion inhalierten. Eine klinische Studie zur Erhärtung dieser Hypothese bereitet sie derzeit vor.
DIE AKUTE ATEMNOT KANN MIT EINEM UNKONTROLLIERT HEFTIGEN AUFWALLEN DES IMMUNSYSTEMS EINHERGEHEN: DIESER ZYTOKINSTURM KANN ZU MULTIORGAN-VERSAGEN FÜHREN.

Millionen winzige Luftballons

In einer zweiten klinischen Studie des DZL, die schon im Januar 2016 startete, hofft Herold zu beweisen, wofür sie präklinisch Anhaltspunkte gesammelt hat: Die Inhalation des Zytokins GM-CSF – eines Botenstoffs des Immunsystems – ist eine wirksame Therapie gegen das Syndrom der akuten Atemnot (ARDS). „Das ist ein Zustand, der verschiedene Ursachen haben kann und sich bisher nur durch künstliche Beatmung oder die Behandlung der Grunderkrankung in den Griff bekommen lässt.“ Die von Herold initiierte GI-HOPE-Studie konzentriert sich auf die Behandlung des infektionsbedingten ARDS bei Patientinnen und Patienten mit bakteriell oder viral bedingter Lungenentzündung.
Die Inhalation eines 
Zytokins könnte helfen. 
Der akuten Atemnot geht eine Schädigung der Lunge voraus. Sie entsteht, wenn es Pathogenen gelingt, der Immunabwehr der oberen Atemwege zu entwischen und bis ans Ende des Bronchialbaumes hinabzusteigen. Traubenförmig hängen dort die Lungenbläschen, Alveolen genannt. Ihre hauchdünne Wand wird von feinsten Blutgefäßen umschlungen. Wie winzige Luftballons blähen sich die über 300 Millionen Alveolen eines Menschen beim Einatmen auf. Dann tritt der Sauerstoff hinüber ins Blut, aus dem im Gegenzug Kohlendioxid strömt. Die Atemfläche, auf der dieser Austausch geschieht, ist beim Erwachsenen fast so groß wie die Hälfte eines Tennisplatzes.

Ein überforderter Dirigent

Alveolen sind nicht durch eine behaarte Schleimhaut geschützt, weil diese den Gasaustausch behindern würde. Stattdessen patrouillieren in ihnen Makrophagen, die als Reinigungskräfte fungieren. Zusammen mit den Wandzellen der Alveolen reagieren sie auf Infektionen mit der Ausschüttung von Zytokinen, die eine Entzündung auslösen. Das Ziel dieser Entzündung ist es, die Krankheitserreger zu eliminieren. Dazu bedarf es der Hilfe aus dem Gefäßsystem. Die Wand der Alveolen wird durchlässig. Flüssigkeit tritt ein. Das Atmen fällt vorübergehend schwerer. Dennoch wird das Ziel erreicht, wenn das Immunsystem das Zusammenspiel der Zytokine so dirigiert, dass die Entzündung im notwendigen Rahmen bleibt und rechtzeitig ausklingt.
DIE ENTZÜNDUNG SOLL DIE
KRANKHEITSERREGER ELIMINIEREN.
Makrophagen sind weiße Blutkörperchen, die zu den sogenannten Fresszellen gehören und Teil des angeborenen Immunsystems sind. Sie können Krankheitskeime aus dem Körper beseitigen.
Makrophagen sind weiße Blutkörperchen, die zu den sogenannten Fresszellen gehören und Teil des angeborenen Immunsystems sind. Sie können Krankheitskeime aus dem Körper beseitigen.
Dieses maßvolle Dirigat misslingt nicht selten. Dann kommt es zu einem Lungenödem, weil zu viel Flüssigkeit in die Alveolen läuft. Sie verlieren ihre Oberflächenspannung und kollabieren. Viele Alveolarzellen begehen programmierten Selbstmord; Bindegewebe verdrängt wertvolle Atemfläche. „Die Patientinnen und Patienten bekommen immer schlechter Luft“, sagt Susanne Herold. „Sie müssen beatmet werden.“ Manchmal geht die akute Atemnot mit einem unkontrolliert heftigen Aufwallen des Immunsystems einher, einem Zytokinsturm, der zu einem Multiorganversagen führen kann. Dieser Sturm kommt auch bei grippal bedingten Lungenentzündungen vor, jedoch seltener als bei COVID-19. „Der Zytokinsturm ist unter anderem ein Zeichen dafür, dass der Körper nicht gelernt hat, mit einem Erreger umzugehen. Das Entzündungsgeschehen läuft außer Kontrolle.“ ARDS und Zytokinsturm bedingten einander, sagt Herold.

Ursache und Folge voneinander zu trennen, sei ein Henne-und-Ei-Problem. Die Hemmung eines prominenten Zytokins wie Interleukin 6 habe bisher nur wenig gegen akute Atemnot ausrichten können. Herold vermutet, dass es kein „signifikanter Trigger, sondern eher Ausdruck einer generellen Hyperinflammation“ ist.

Makrophagen im Visier

In der GI-HOPE-Studie setzt sie deshalb nicht auf die Hemmung, sondern auf die Gabe eines Zytokins. GM-CSF wirkt stimulierend auf Makrophagen und triggert gleichzeitig die Erneuerung abgetöteten Lungengewebes. „Wenn ein Patient schon drei Tage beatmet worden ist, ohne dass sich sein Zustand verbessert hat, haben wir ihn vier Tage lang damit behandelt und 28 Tage beobachtet“, erklärt Herold. Am 22. September 2021 wurde die letzte von insgesamt 45 Patientinnen in die Studie aufgenommen. Ein Teil von ihnen inhalierte einmal täglich 150 Mikrogramm GM-CSF, ein Teil die dreifache Dosis, eine weitere Gruppe ein wirkstofffreies Scheinpräparat. Nun werden die Daten der doppelt verblindeten Studie ausgewertet. Das Ergebnis wird im Sommer 2022 erwartet. Susanne Herold ist optimistisch: „Wir denken, dass die Inhalation von GM-CSF zwei Effekte hat: Sie korrigiert die gefährlich heftige Immunreaktion der Makrophagen und sorgt dafür, dass sie die verletzten Lungenbläschen reparieren.“ In einer weiteren multizentrischen Studie überprüft sie derzeit auch explizit bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten, ob die Inhalation von GM-CSF das Fortschreiten einer Lungenentzündung zu einem akuten Atemnot-Syndrom verhindern kann.
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