SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Kein Impfstoff, aber Heilung?

In den USA demonstrierten 1990 rund 1.000 Aktivistinnen und Aktivisten der „Act up“-Bewegung auf dem Campus der Nationalen Gesundheitsbehörde. Sie forderten eine intensivere staatliche AIDS-Forschung.
BIS HEUTE KANN KEIN MEDIKAMENT DAS VIRUS AUS DEM KÖRPER ELIMINIEREN. ES SIND JEDOCH ERSTE FÄLLE BEKANNT, IN DENEN DAS TROTZDEM GESCHAH.
Trotzdem könne man sich nicht damit zufriedengeben. Weil es eine lebenslange Therapie bedeutet, sie nicht jeder gut verträgt und sie nicht in allen Regionen der Welt leicht zugänglich ist. Außerdem wirkt sie nicht bei allen gleich gut. Und die Menschen bleiben weiterhin infiziert, denn bis heute kann kein Medikament das Virus aus dem Körper eliminieren. Es sind jedoch erste Fälle bekannt, in denen das trotzdem geschah: Der „Berlin-Patient“ erhielt wegen einer Leukämieerkrankung 2007 eine Stammzelltherapie. Sein Spender war Träger einer seltenen Rezeptor-Mutation, die eine HIV-Infektion unmöglich machte – und das dann auch beim Empfänger. Ähnliches widerfuhr einem Mann in London. Zwei weitere Patientinnen gehören zu den seltenen „Elite-Controllern“: In ihren Zellen finden sich noch Bruchstücke des Virusgenoms. Das Virus kann sich bei ihnen aber nicht mehr vermehren.

Deutschlandweites Netzwerk

Wird es irgendwann ein Heilmittel geben? „Heilung ist ein schwieriges Wort. Es gibt funktionelle Heilung, die so genannte Remission, bei der das Virus sich nicht mehr vermehren kann. Und kurative, also eine echte Heilung, wie beim Berlin-Patienten, der bis zu seinem Lebensende 2019 virusfrei war“, sagt Marcus Altfeld. Am DZIF wurde in den vergangenen Jahren ein deutschlandweites Patienten-Netzwerk für Studien aufgebaut. Wissenschaftlich stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Das Virus-Reservoir und die Stärkung des Immunsystems. „Unsere Virologinnen und Virologen wollen herausfinden, in welchen Bereichen des Genoms sich HIV besonders gern festsetzt und ein Reservoir bildet, warum es das so schnell tut und ob es Möglichkeiten gibt, es wieder herauszuholen. Oder zumindest so zu verriegeln, dass es nie wieder replizieren kann“, beschreibt Altfeld das Projekt. Dem Immunsystem auf die Sprünge helfen könnte zum Beispiel eine frühe Therapie mit mehreren breit wirksamen Antikörpern – um schon zu Beginn so viele infizierte Zellen wie möglich auszuschalten. So bliebe das Virus-Reservoir klein und könnte vom Immunsystem besser kontrolliert werden. Prof. Florian Klein und Prof. Clara Lehmann haben diese Antikörpertherapie bereits in einer Pilotstudie an der Uniklinik Köln getestet. Sie kann auch als HIV-Prophylaxe eingesetzt werden.

Marcus Altfeld selbst erforscht, wie es den natürlichen Killerzellen der Immunabwehr gelingt, zwischen infizierten und nichtinfizierten Zellen zu unterscheiden. „Wenn wir eindeutige Marker auf der Oberfläche infizierter Zellen finden, gelingt es vielleicht, die Immunantwort dagegen zu stärken.“ Ein Ansatz, der auch gegen ganz andere Viren hilfreich sein könnte. Rätsel gibt weiterhin das eine Prozent der sogenannten „Post Treatment Controller“ auf, die nach einer Weile keine Therapie mehr benötigen. „Wenn sie etwas haben, was wir bei den anderen 99 Prozent induzieren können, wäre das großartig!“ DZIF-Forscherinnen und -Forscher arbeiten daran, entsprechende Biomarker zu finden. „Sollte es ein genetischer Faktor sein, würde es anderen wohl eher nicht helfen. Aber zumindest ließen sich diejenigen identifizieren, die nach einer Infektion bessere Chancen haben, das Virus auch ohne Therapie zu kontrollieren.“

Weniger Neuinfektionen

Dank der antiretroviralen Medikamente sinkt die Zahl der Neuinfektionen seit dem Jahr 2007 kontinuierlich. Von den weltweit rund 38 Millionen HIV-Infizierten erhalten aktuell 73 Prozent eine Therapie. Doch auch 2020 starben noch 680.000 Menschen an AIDS – hauptsächlich im Süden Afrikas, Osteuropa, Zentral- und Südostasien. Und deshalb hat das HIV/AIDS-Programm der Vereinten Nationen UNAIDS das Ziel „90-90-90“ ausgerufen: Mindestens 90 Prozent der Infizierten sollten wissen, dass sie HIV-positiv sind. Mindestens 90 Prozent von ihnen sollten behandelt werden und davon mindestens 90 Prozent erfolgreich. So würde die Zahl der Neuinfektionen immer weiter absinken und das Virus wäre irgendwann besiegt.
„Das umzusetzen ist jedoch nicht leicht, weil zum Beispiel in Konfliktregionen Tests und Therapie auf viele Hindernisse stoßen“, sagt Marcus Altfeld. Auch prekäre Lebenssituationen wie die junger Frauen aus ärmeren Verhältnissen in Afrika erschweren das Vorhaben. „Wir arbeiten eng zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Durban (Südafrika), einem Epizentrum der Pandemie. Bis zu 50 Prozent der 14- bis 15-jährigen Mädchen, die schwanger sind, werden zugleich HIV-positiv getestet.“ Kontrazeptiva als Dreimonats-Spritze sind bereits vielerorts erhältlich. Manche Public Health-Programme testen nun zugleich auch Depot-Injektionen antiretroviraler Medikamente, als HIV-Therapie oder Prophylaxe. Antikörper-Injektionen werden ebenfalls bereits getestet.

Eine 3- oder 6-Monatsspritze wäre auch für Infizierte hierzulande interessant, denn die tägliche Tablette vergisst man schon mal. Passiert das häufiger, steigt die Virusmenge und es drohen Resistenzen gegen zuvor wirksame Medikamente. Der Status quo trotz Behandlung ist nach wie vor: Das Virus schläft in den Zellen, ist aber wachsam und bleibt für immer. Noch!

EIN FAST
NORMALES LEBEN

VIELE HIV-POSITIVE MENSCHEN LEBEN SCHON SEIT JAHRZEHNTEN MIT DEM VIRUS. PETER MÜLLER* IST EINER VON IHNEN. DER 52-JÄHRIGE LEBT IN KÖLN UND SEIT 2005 IN FESTER PARTNERSCHAFT. WIE IST ES IHM ERGANGEN?
*Name von der Redaktion geändert.
Herr Müller, seit wann sind Sie mit dem HI-Virus infiziert?
Festgestellt wurde die Infektion 1991. Ich hatte plötzlich hohes Fieber und dann ergab ein Test beim Arzt, dass ich HIV-positiv bin. Ich habe dann auch gleich mit der Therapie begonnen und erst eine Kombination aus drei Tabletten genommen, ab 1996 dann nur noch eine Tablette am Abend.
Inwiefern beeinflussen die Therapie und die Infektion Ihren Alltag?
Anfangs hatte ich Kopfschmerzen und meine Haare lichteten sich. Aber das gab sich bald wieder. Schwieriger waren die „mentalen Nebenwirkungen“: Wenn man jemanden neu kennenlernen möchte, muss man als HIV-Positiver eine Schwelle überwinden und sagen, dass man das Virus hat. Und dann muss der Andere entscheiden, ob er darauf eingehen will oder nicht.
Wie offen gehen Sie mit ihrer Infektion um?
Auf der Arbeit habe ich es nicht publik gemacht. Aber mein Partner, der engste Freundeskreis und meine Eltern wissen natürlich davon.
Sie haben 2018 an der Uniklinik Köln im Rahmen einer multizentrischen Studie eine Antikörpertherapie erhalten. Wie lief das ab und wie geht es Ihnen seitdem?
Ich gehörte zu 30 Probanden, die drei Mal im Abstand von jeweils drei Wochen eine Kombination aus zwei monoklonalen, breit neutralisierenden HIV-Antikörpern per Infusion bekamen. Ein Jahr später war ich der einzige, bei dem das Immunsystem das Virus so gut kontrollierte, dass ich bis heute keinerlei Medikamente mehr nehmen muss. Nun gehe ich nur noch alle drei Monate zur Kontrolle. Prof. Clara Lehmann, die mich betreut, meint, mein Körper käme jetzt mit der Erkrankung alleine klar.
Worauf sollte sich die Forschung aus ihrer Sicht konzentrieren? Impfung oder Heilung?
Ein Heilmittel wäre mein größter Wunsch. Damit alle Infizierten – vor allem auch die, die sehr viel schlimmer dran sind als ich – etwas bekommen, was das Virus aus dem Körper eliminiert.
linkedin facebook pinterest youtube rss twitter instagram facebook-blank rss-blank linkedin-blank pinterest youtube twitter instagram