BIS HEUTE KANN KEIN MEDIKAMENT DAS VIRUS AUS DEM KÖRPER ELIMINIEREN. ES SIND JEDOCH ERSTE FÄLLE BEKANNT, IN DENEN DAS TROTZDEM GESCHAH.
Trotzdem könne man sich nicht damit zufriedengeben. Weil es eine lebenslange Therapie bedeutet, sie nicht jeder gut verträgt und sie nicht in allen Regionen der Welt leicht zugänglich ist. Außerdem wirkt sie nicht bei allen gleich gut. Und die Menschen bleiben weiterhin infiziert, denn bis heute kann kein Medikament das Virus aus dem Körper eliminieren. Es sind jedoch erste Fälle bekannt, in denen das trotzdem geschah: Der „Berlin-Patient“ erhielt wegen einer Leukämieerkrankung 2007 eine Stammzelltherapie. Sein Spender war Träger einer seltenen Rezeptor-Mutation, die eine HIV-Infektion unmöglich machte – und das dann auch beim Empfänger. Ähnliches widerfuhr einem Mann in London. Zwei weitere Patientinnen gehören zu den seltenen „Elite-Controllern“: In ihren Zellen finden sich noch Bruchstücke des Virusgenoms. Das Virus kann sich bei ihnen aber nicht mehr vermehren.
Wird es irgendwann ein Heilmittel geben? „Heilung ist ein schwieriges Wort. Es gibt funktionelle Heilung, die so genannte Remission, bei der das Virus sich nicht mehr vermehren kann. Und kurative, also eine echte Heilung, wie beim Berlin-Patienten, der bis zu seinem Lebensende 2019 virusfrei war“, sagt Marcus Altfeld. Am DZIF wurde in den vergangenen Jahren ein deutschlandweites Patienten-Netzwerk für Studien aufgebaut. Wissenschaftlich stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Das Virus-Reservoir und die Stärkung des Immunsystems. „Unsere Virologinnen und Virologen wollen herausfinden, in welchen Bereichen des Genoms sich HIV besonders gern festsetzt und ein Reservoir bildet, warum es das so schnell tut und ob es Möglichkeiten gibt, es wieder herauszuholen. Oder zumindest so zu verriegeln, dass es nie wieder replizieren kann“, beschreibt Altfeld das Projekt. Dem Immunsystem auf die Sprünge helfen könnte zum Beispiel eine frühe Therapie mit mehreren breit wirksamen Antikörpern – um schon zu Beginn so viele infizierte Zellen wie möglich auszuschalten. So bliebe das Virus-Reservoir klein und könnte vom Immunsystem besser kontrolliert werden. Prof. Florian Klein und Prof. Clara Lehmann haben diese Antikörpertherapie bereits in einer Pilotstudie an der Uniklinik Köln getestet. Sie kann auch als HIV-Prophylaxe eingesetzt werden.
Marcus Altfeld selbst erforscht, wie es den natürlichen Killerzellen der Immunabwehr gelingt, zwischen infizierten und nichtinfizierten Zellen zu unterscheiden. „Wenn wir eindeutige Marker auf der Oberfläche infizierter Zellen finden, gelingt es vielleicht, die Immunantwort dagegen zu stärken.“ Ein Ansatz, der auch gegen ganz andere Viren hilfreich sein könnte. Rätsel gibt weiterhin das eine Prozent der sogenannten „Post Treatment Controller“ auf, die nach einer Weile keine Therapie mehr benötigen. „Wenn sie etwas haben, was wir bei den anderen 99 Prozent induzieren können, wäre das großartig!“ DZIF-Forscherinnen und -Forscher arbeiten daran, entsprechende Biomarker zu finden. „Sollte es ein genetischer Faktor sein, würde es anderen wohl eher nicht helfen. Aber zumindest ließen sich diejenigen identifizieren, die nach einer Infektion bessere Chancen haben, das Virus auch ohne Therapie zu kontrollieren.“