SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Herzinfarkt oder nicht?
Der Troponintest hat die Infarktdiagnostik in der Notaufnahme revolutioniert.
Mittlerweile ist der massgeblich in Deutschland entwickelte Test so empfindlich, dass er viel mehr kann, als „nur" den Infarkt zu erkennen:
Er informiert selbst über kleinste Herzschäden und erlaubt Ärzten einen informierten Blick in die nahe Zukunft.

Wie geht's dir, Herz?

Rund fünfzehn bis zwanzig Mal am Tag kommen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Patienten mit starken Brustschmerzen in die Notaufnahme. „Herzinfarkt oder nicht" ist dann die Frage – und sie sollte zügig beantwortet werden. Denn je schneller behandelt wird, umso geringer sind die langfristigen Schäden für das Herz.

„Grob geschätzt hat etwa jeder fünfte Patient, der mit Brustschmerzen in die Notaufnahme kommt, tatsächlich einen Herzinfarkt", sagt Privatdozent Dr. Johannes Neumann von der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am UKE. Die anderen Patienten haben entweder Herzbeschwerden anderer Ursache oder Beschwerden, die mit dem Herzen überhaupt nichts zu tun haben, wie etwa bei Wirbelsäulenerkrankungen oder einem Magengeschwür.

Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, einen Herzinfarkt zu erkennen: Wenige der Patienten haben ein für Herzinfarkte typisches EKG, bei allen anderen wird der Herzinfarkt mit einem Labortest diagnostiziert: dem Troponin-Test. Troponin ist ein Eiweiß, das beim Menschen im Herzmuskel vorkommt und praktisch nirgends sonst. Wird es im Blut entdeckt, dann stammt es aus den Herzmuskelzellen, und dort muss irgendetwas nicht stimmen, sonst wäre das Eiweiß nicht freigesetzt worden.
TROPONINTESTS SIND IMMER EMPFINDLICHER GEWORDEN UND DER WERT IST VOM REINEN HERZINFARKTMARKER ZUM MARKER FÜR EINE SCHÄDIGUNG DES HERZENS GEWORDEN.
1956
Erstmals werden Eiweiße (Leberenzyme) im Blut gemessen, um einen Herzinfarkt nachzuweisen.

Innovation braucht Zeit: Beim Troponin waren es über zwanzig Jahre

Der Troponin-Test ist in den 80er- und frühen 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland entwickelt worden. Prof. Dr. Hugo Katus, Leiter der Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und einer der prägenden Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), erinnert sich: „Vorher gab es als Laborwert für den Herzinfarkt nur die CK." Die Abkürzung steht für Creatin-Kinase – ein Eiweiß des Energiestoffwechsels, das in sehr vielen Geweben vorkommt. Entsprechend schwierig sind erhöhte CK-Werte zu interpretieren.
1979
Hypothese der AG Hugo Katus: Messung eines herzspezifischen Eiweißes im Blut verbessert die Herzinfarkt-Diagnostik.
Katus hat ab den späten 1970er-Jahren als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt mithilfe radioaktiv markierter Antikörper Eiweiße untersucht, die im Herzmuskel vorkommen, und zwar nur dort. Am Anfang konzentrierten sich die Forscher dabei auf Myosin-Leichtketten: „Mitte der 80er-Jahre haben wir dann erkannt, dass Troponin noch spezifischer ist, und letztlich den Troponin-Test entwickelt, der 1989 patentiert wurde." Weitere zehn Jahre dauerte es, bis alle Studien abgeschlossen waren, die nötig sind, um einen diagnostischen Test in die Klinik zu bringen. Heute ist Troponin in praktisch allen internationalen Leitlinien das labordiagnostische Verfahren der Wahl bei Patienten mit Verdacht auf einen Herzinfarkt. Es ist aus der Notfallmedizin nicht mehr wegzudenken.

Moderne Troponin-Tests liefern mehr als eine ja-nein-Antwort

Über die Jahre hat sich der Troponin-Test weiterentwickelt; er ist vor allem immer empfindlicher geworden. Eine schwedische Studie hat kürzlich gezeigt: Dank der hoch-sensitiven Troponin-Tests („hsTroponin") konnte bei 13 Prozent mehr Patienten mit Brust-schmerz ein Herzinfarkt als Ursache dingfest gemacht werden. „Das sind 13 Prozent mehr Patienten, die wir gezielt behandeln können", betont Katus.
TROPONIN IST HEUTE ALS FLEXIBLE VARIABLE ZU BETRACHTEN.
Die höhere Empfindlichkeit der Tests hat aber noch andere Konsequenzen. Die beiden DZHK-Wissenschaftler Dr. Johannes Neumann und Prof. Dr. Stefan Blankenberg haben gemeinsam mit zahlreichen Herzexperten aus aller Welt die Ergebnisse der COMPASS-MI-Studie veröffentlicht, welche international große Resonanz erfahren hat.
1985
Katus und seine Kollegen beweisen, dass das Eiweiß Troponin spezifisch für den Herzmuskel ist.
Wer die COMPASS-MI-Studie verstehen will, muss sich klarmachen, dass es auch Probleme mit sich bringen kann, wenn ein Labortest immer empfindlicher wird: „Früher lieferte der Troponin-Test eine Ja-Nein-Antwort, wie ein Schwangerschaftstest: Entweder der Patient hatte einen Herzinfarkt oder er hatte keinen“, so Neumann.

Bei den modernen Tests ist das anders: Troponin wird bei immer mehr Menschen messbar, auch bei Patienten ohne Herzinfarkt. Es lässt sich zum Beispiel auch bei einer Herzmuskelentzündung nachweisen, bei Herzschwäche oder Lungenentzündung. „Wir verstehen Troponin deshalb heute nicht mehr als einen reinen Herzinfarkt-Marker, sondern als einen Marker für eine Schädigung des Herzens", sagt Katus.
1989
Patentierung des Troponin-Tests

Compass-MI-Studie: DZHK-Wissenschaftler berechnen detailliertes Risikomodell

Der Troponin-Test wird dadurch nicht wertlos, im Gegenteil: Er liefert immer mehr Informationen. Er wird nur auch schwieriger zu interpretieren. Kardiologen sehen sich heute an, wie hoch der Wert genau ist und wie er sich über die ersten Stunden entwickelt. Dafür gibt es Algorithmen mit unterschiedlichen Zeitfenstern, Grenzwerten und Troponin-Testsystemen. Diese seien aber noch relativ starr und würden der Realität oft nicht gerecht, so Neumann: „In einem abgelegenen Krankenhaus gelten andere Überlegungen als in einer Stadt mit guter Versorgungsdichte. Unsere Grundidee war deswegen, von festen Grenzwerten wegzukommen und Troponin als eine flexible Variable zu betrachten."

Es ist ein detailliertes Risikomodell entstanden, bei dem eine Notaufnahme vorgeben kann, welcher Troponin-Test genutzt wird und was das Versorgungsziel – zum Beispiel „ein Herzinfarkt soll mit 99-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden". Die Ärzte können dann anhand der COMPASS-MI-Risikotafeln ablesen, mit welchen Troponin-Grenzwerten und Messintervallen sie arbeiten sollten.

Die COMPASS-MI-Daten erlauben noch eine andere Risikoabschätzung, nämlich Aussagen über das Risiko, in den 30 Tagen nach dem Notaufnahmebesuch einen Herzinfarkt zu erleiden. „Auch bei Patienten ohne Herzinfarkt ist das kardiovaskuläre Risiko erhöht, wenn Troponin nachweisbar ist. Mit den COMPASS-MI-Daten können wir dieses Risiko jetzt zum ersten Mal sehr genau beschreiben", betont Neumann. Wer gefährdet ist, bei dem kann eine engere Überwachung sinnvoll sein oder auch eine präventive medikamentöse Therapie.
2002
Internationale Fachgesellschaften erklären Troponin zum bevorzugten Marker für die Herzinfarkt-Diagnostik.

„Biomarker-Kombinationen gehört die Zukunft"

Wie geht es weiter mit den Labor-Biomarkern in der Kardiologie? In den letzten zehn Jahren hat sich mit dem Herzinsuffizienz-Marker NT-proBNP ein weiterer, schnell erfassbarer Messwert etabliert, der sowohl in der Notfallmedizin als auch in der Dauerversorgung von Herzpatienten einen festen Stellenwert hat. Katus glaubt, dass sich in Zukunft Biomarker-Kombinationen entwickeln, die detaillierte Informationen über den Verlauf unterschiedlicher kardiovaskulärer Erkrankungen geben werden – nicht nur Eiweiße, sondern auch genetische Regulatoren wie die microRNA und komplexere Parameter wie das Methylierungsmuster der Erbsubstanz.

Für Katus ist die „Troponin-Geschichte" ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, als Wissenschaftler an Themen dranzubleiben, auch wenn sie einen langen Atem erfordern. „Dass Troponin heute überall eingesetzt wird, fühlt sich gut an, klar", sagt er. „Aber es hat über zwanzig Jahre gedauert! Am Anfang hat sich kein Mensch für uns interessiert, und wir konnten unsere Daten nicht in den Top-Journalen publizieren. Für mich ist Troponin deswegen auch ein Beleg dafür, dass das ganze Theater, das heute um die Impact-Faktoren von wissenschaftlichen Fachzeitschriften gemacht wird, letztlich Blödsinn ist."
2019
DZHK-Wissenschaftler entwickeln den Risikokalkulator COMPASS MI, mit dem Ärzte, je nach gewähltem Troponin-Test sowie weiteren Angaben, schneller und sicherer abschätzen können, ob ein akuter Herzinfarkt vorliegt und wie hoch das Risiko für einen Herzinfarkt in den nächsten 30 Tagen ist.
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