SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Intelligente Medizin

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wichtiges Werkzeug der medizinischen Forschung, das zunehmend auch in der klinischen Anwendung ankommt. Mit wachsender Leistungsfähigkeit eröffnet es neue Möglichkeiten und Erkenntnisse. Die DZG verfolgen innovative Ansätze und gestalten die Entwicklung mit.
Als das amerikanische Softwareunternehmen OpenAI am 30. November 2022 ChatGPT veröffentlichte, machte es künstliche Intelligenz für jedermann greifbar: Wenn der Chatbot auf Fragen schnell und gut verständlich formuliert antwortet, scheint es, als denke er wie ein Mensch. ChatGPT hat damit auf fundamentale Weise verändert, wie wir mit Computern interagieren – was wir ihnen abverlangen und was wir ihnen zutrauen. Was bedeutet das für die medizinische Forschung?

Große Mengen an Daten durchforsten

„Dort ist künstliche Intelligenz schon lange stark im Einsatz", erklärt Professor Jörg Janne Vehreschild, Gründungsdirektor des Instituts für Digitale Medizin und Klinische Datenwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt. „Die Methoden der Bioinformatik, die zu KI gezählt werden, sind gerade in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung ein Standardwerkzeug. Sie werden beispielsweise bei der Betrachtung genetischer Fragestellungen genutzt oder bei der Arbeit mit den Hochdurchsatzdaten der sogenannten Omics-Forschung, die Moleküle untersucht." Vehreschild engagiert sich in der Arbeitsgruppe Forschungs-IT der DZG. Er sagt: „Gerade die Fähigkeit von KI, große Mengen an Forschungsdaten zu durchforsten, ermöglicht immer wieder neue Erkenntnisse."
Laut Professor Florian Buettner, DKTK-Professor für Bioinformatik und Onkologie am Universitätsklinikum Frankfurt, sind in der Krebsforschung große KI-Modelle, die auch „Foundation Models" genannt werden, auf dem Vormarsch: Sie werden mit einem breiten Spektrum an Daten trainiert und können anspruchsvolle Aufgaben bei pathologischen Untersuchungen übernehmen. „Sie klassifizieren auch Gewebeschnitte und ordnen sie Subtypen zu. Oder sie segmentieren Tumorgewebe – das bedeutet, dass es in verschiedene Bereiche geteilt und dabei gesundes von krankem Material unterschieden wird", so Buettner.
METHODEN DER BIOINFORMATIK SIND IN DEN DEUTSCHEN ZENTREN DER GESUNDHEITSFORSCHUNG EIN STANDARDWERKZEUG.

Feinheiten verbessern sich zunehmend schnell

Die Weiterentwicklung dieser Technologien passiert ähnlich rasant wie bei generativer KI à la ChatGPT. Jörg Janne Vehreschild: „Wir sehen in der Forschungsarbeit, dass sich gerade die Feinheiten zunehmend verbessern und dank höherer Leistung noch komplexere Untersuchungen vornehmen können. Aber wir müssen lernen, typische Fehler, die neuronale Netzwerke machen, leichter zu erkennen und zu vermeiden." KI kann dann in der Medizin unter anderem helfen, die Diagnostik von Krankheiten zu verbessern. Zum Beispiel, wenn es um die Auswertung von Bilddaten geht: KI-Systeme sind dem menschlichen Auge und Gehirn teilweise voraus, wenn sie Röntgenaufnahmen oder MRT-Bilder analysieren. Forschende des Helmholtz Munich nutzen beispielsweise gemeinsam mit der Augenklinik des LMU Klinikums München und der Technischen Universität München einen Deep-Learning-Algorithmus, um Krankheiten wie die diabetische Retinopathie effizienter automatisiert diagnostizieren zu können. Das weiterentwickelte Verfahren reduziert den Bedarf an teuren annotierten Daten für das Training des Deep-Learning-Algorithmus um 75 Prozent und erreicht dennoch die diagnostische Leistung sowohl von medizinischen Fachkräften als auch von Algorithmen, die deutlich mehr Trainingsdaten benötigen. Ein Team des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) am Universitätsklinikum Bonn entwickelt ein Verfahren, das die Behandlung der Flussblindheit, einer in Afrika weit verbreiteten Wurmerkrankung, verbessern soll: KI hilft hier, Gewebeproben unter dem Mikroskop automatisch auszuwerten, um den Behandlungserfolg zu bestimmen. Bisher war die Untersuchung der histologischen Schnitte sehr aufwendig, sie soll durch die Technologie nun automatisiert und standardisiert werden.
Ein wesentlicher Aspekt der künstlichen Intelligenz (KI) ist die Fähigkeit von Algorithmen, aus umfangreichen Datenmengen zu lernen und spezifische Muster zu identifizieren. Diese Muster sind oft charakteristisch für bestimmte Fragestellungen. KI-Systeme können dadurch Aufgaben mit bemerkenswerter Präzision ausführen und tiefgehende Erkenntnisse gewinnen.

Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von KI in der medizinischen Bildgebung. Bei der Analyse von Röntgenbildern können etwa KI-Algorithmen spezifische Merkmale identifizieren, die auf Krankheiten hinweisen. Diese Fähigkeit, subtile und komplexe Muster zu erkennen, die dem menschlichen Auge oft entgehen, macht KI zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der modernen medizinischen Forschung.
DIE FÄHIGKEIT VON KI, GROSSE MENGEN AN FORSCHUNGSDATEN ZU DURCHFORSTEN, ERMÖGLICHT FORTLAUFEND NEUE ERKENNTNISSE.
In der Chirurgie können Roboter, die von KI gesteuert werden, präzise Eingriffe durchführen. Und die Idee einer personalisierten Medizin wird vorangetrieben: Sie könnte in Zukunft Daten aus der genetischen Information und Krankheitsgeschichte einer Person nutzen, um maßgeschneiderte Behandlungspläne zu entwickeln. Denn das sollte immer das Ziel sein: Die Technologie soll den Menschen helfen, die damit erzielten Ergebnisse sollen „am Bett der Patientinnen und Patienten" ankommen – die sogenannte Translation in die Praxis, die auch das wichtigste Ziel der Arbeit der DZG ist.

Professor Vehreschild hält es für eine große Stärke dieser Gemeinschaft, die Technologien in den Anwendungsbezug zu bringen: „Wir arbeiten in den DZG vor allem daran, Erkrankungen besser zu verstehen, bestehende Behandlungsansätze zu optimieren und ganz neue Behandlungsansätze zu entwickeln." Er selbst untersucht in seiner Arbeit für das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) schwerpunktmäßig HIV: „Ich arbeite mit meinen Teams derzeit vor allem daran, die Verfahren des maschinellen Lernens auf klinische Datensätze anzuwenden. Das sind im Gegensatz zu beispielsweise einem Genom recht unstrukturierte Daten. Wir versuchen zu erkunden, wie wir sie aufbereiten müssen, damit die KI daraus für uns neue Informationen ablesen kann."

Forschungsprojekte brauchen Daten

Ein Team vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) hat ebenfalls versucht, unstrukturierte Informationen zu erfassen: Anhand von Krankenakten aus der Onkologie, die von Medizinerinnen und Medizinern frei formuliert wurden, untersuchte es, was die von OpenAI entwickelten Sprachmodelle daraus ziehen können. GPT-4, die Weiterentwicklung von ChatGPT, konnte sehr viel genauer als sein Vorgänger spezifische Informationen herauslesen, zum Beispiel zur Größe der Tumore und ob der Krebs schon Metastasen gebildet hat. Die Analyseergebnisse waren zu 98 Prozent korrekt. Das zeigt, dass die Technologie sich dem Praxiseinsatz nähert und dort Ärztinnen und Ärzte in ihrer Arbeit unterstützen kann. Noch mehr Beispiele dafür, wie Digitalisierung schon jetzt in der translationalen Forschung der DZG genutzt und weiterentwickelt wird, finden Sie auf den folgenden Seiten dieses Magazins.
WAS ALL DIESE FORSCHUNGSPROJEKTE BRAUCHEN, SIND DATEN.
Was all diese Forschungsprojekte brauchen, sind Daten. Sie stammen unter anderem aus klinischen Studien, die beispielsweise die Wirkung eines Medikaments untersuchen oder der Frage nachgehen, wie häufig bestimmte Krankheiten auftreten. Die in der Forschung genutzten Informationen sind anonymisiert. Die Entwicklung neuer Tools gewährleistet einen sicheren Austausch. Patientinnen und Patienten können ihre Daten auch spenden. Dafür gibt es in Deutschland erste Regelungen. So erleichtert das neue Gesundheitsdatennutzungsgesetz die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung, auf europäischer Ebene soll künftig der European Health Data Space sie regeln.

Darüber hinaus gibt es KI-Technologien, die implizit einen wichtigen Aspekt des Datenschutzes berücksichtigen: Daten sollten nicht verbreitet werden, sondern lokal bleiben. Ein Datenpool, der etwa mehreren Forschungseinrichtungen zur Verfügung steht, wird dadurch für Analysen nutzbar, ohne dass Daten ausgetauscht und zentral gesammelt werden müssen. Denn es sind vielmehr die Algorithmen, die zum jeweiligen Standort reisen. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 12 und 42.

Ein gemeinsamer Datensatz als Basis

Es gibt noch viele weitere Herausforderungen: „Die Daten müssen zum Beispiel erst mal digital erfasst und gut strukturiert sein, damit wir damit arbeiten können", so Jörg Janne Vehreschild. „Da helfen uns die zunehmende Digitalisierung und Initiativen wie die elektronische Patientenakte." Die Arbeitsgruppe Forschungs-IT der DZG will unter den beteiligten Zentren einen effizienten Austausch von Forschungsdaten ermöglichen. „Wir haben uns auf einen übergreifenden Datensatz geeinigt, der als Basis für die Arbeit aller Zentren dienen kann", sagt Dr. Raphael Majeed, Sprecher der Arbeitsgruppe. „So können interdisziplinäre Fragestellungen leichter untersucht werden, etwa ob bestimmte neurodegenerative Erkrankungen in der Folge von Infektionen auftreten oder wie die Lungenerkrankung COPD und Herzerkrankungen sich gegenseitig beeinflussen."

Die DZG arbeiten auch in Netzwerken im Bereich der Forschungsdateninfrastrukturen mit, zum Beispiel dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) und NFDI4Health, einer nationalen Forschungsdateninfrastruktur für persönliche Gesundheitsdaten. „Wir haben gemeinsam ein Studienregister entwickelt, das eine übergreifende Transparenz über laufende Untersuchungen und damit Ansatzpunkte für Kooperationen bietet", so Majeed. „Wenn ich weiß, woran Kolleginnen und Kollegen anderer Institutionen arbeiten, kann ich mich leichter mit ihnen vernetzen."

KI wirft viele Fragen auf: Wie wird der Datenschutz gewährleistet, wie bleibt bei der Nutzung von KI in der Medizin die Privatsphäre gewahrt und wer haftet, wenn die Technologien Entscheidungen treffen, die sich als falsch herausstellen und vielleicht sogar Patientinnen und Patienten gefährden? Die Antworten darauf muss allein der Mensch finden. Fragt man GPT-4 danach, bestätigt es: Die Verantwortung für das Handeln von KI liegt immer bei denen, die KI-Modelle und KI-Systeme herstellen, entwickeln und einsetzen.

Die Verantwortung – aber auch die Möglichkeit, Großes damit zu gestalten.
VERANTWORTUNG – ABER AUCH DIE
MÖGLICHKEIT, GROSSES DAMIT ZU GESTALTEN
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