Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Frontotemporale Demenz (FTD) sind verheerende und bislang unheilbare Hirnerkrankungen: ALS geht mit einer fortschreitenden Lähmung der Muskulatur einher und führt – meist innerhalb weniger Jahre – zum Tode, FTD löst geistigen Verfall aus. Trotz der Unterschiede haben diese Erkrankungen gemeinsame Merkmale, denn sie liegen an den Enden eines Spektrums neurodegenerativer Störungen mit überlappenden Symptomen. Die meisten Patientinnen und Patienten erkranken „sporadisch" – was bedeutet, dass die Krankheitsursachen unbekannt sind. Gleichwohl sind manche Krankheitsvarianten genetisch bedingt. Bei diesen setzt Dr. Qihui Zhou an. „In meiner Forschung konzentriere ich mich auf Mutationen in einem Gen namens C9orf72. Sie sind die häufigste genetische Ursache sowohl bei ALS als auch bei FTD", erläutert sie. „Diese Mutationen haben diverse Folgen auf molekularer und zellulärer Skala. Ich vermute, dass Immunzellen bei all dem eine zentrale und bisher ungeklärte Rolle spielen. Deshalb beschäftige ich mich insbesondere mit sogenannten T-Zellen, einer Unterart der weißen Blutkörperchen."
Seit 2015 ist Zhou Postdoc am DZNE und wird seit 2021 als „Junior Group Leader" im Rahmen des Karriereprogramms „Career Development Fellow" gefördert. „Der ERC-Grant bietet mir die großartige Gelegenheit, meine Forschungsgruppe zu erweitern und neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen. Das gibt meiner Forschung einen enormen Schub", sagt die Neurowissenschaftlerin.
Für ihr Projekt untersucht sie Zellkulturen, Mäuse mit krankhaften Veränderungen, die denen beim Menschen ähneln, sowie Bioproben von Patientinnen und Patienten. Mit ihrem Ansatz betritt sie wissenschaftliches Neuland. „Es gibt Hinweise darauf, dass Entzündungen ein entscheidender Aspekt vieler neurodegenerativer Erkrankungen sind. Insbesondere bei ALS und FTD scheint es so zu sein, dass an solchen Entzündungsprozessen nicht nur das Immunsystem des Gehirns beteiligt ist, das ein eigenes Repertoire an Immunzellen besitzt, sondern auch die Immunzellen des Blutes. Deshalb möchte ich herausfinden, wie sich Mutationen im C9orf72-Gen auf das Immunsystem des Gehirns und auf die peripheren Immunzellen auswirken", sagt Zhou.
Sie sieht T-Zellen, die über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen, als ein fehlendes Puzzlestück, das helfen könnte, die Krankheitsmechanismen von ALS und FTD besser zu verstehen. „Meine Vision ist, Biomarker und Ansatzpunkte für neue Wirkstoffe zu finden und so die Entwicklung besserer Behandlungsmöglichkeiten voranzutreiben."