SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Wenn ein Schlaganfall das Herz schädigt

Ist das Herz krank, leidet das Gehirn – und umgekehrt. Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) wollen entschlüsseln, wie die beiden Organe einander beeinflussen.
Als zentrales Organ des Blutkreislaufs steht das Herz in engem Austausch mit Lunge, Blutgefäßen und Nieren. Auch zwischen Herz und Gehirn scheint es eine enge Verbindung zu geben: Ist man zum Beispiel aufgeregt, schlägt das Herz schneller und der Blutdruck steigt. Bisher wurden die beiden lebenswichtigen Organe meist getrennt voneinander betrachtet. Dabei wirken sich die Erkrankungen des einen Organs auf die Gesundheit des anderen aus – mit teils lebensbedrohlichen Folgen. So ist eine häufige Komplikation von Vorhofflimmern der Schlaganfall. Dieser kann auftreten, wenn durch Vorhofflimmern entstandene Blutgerinnsel aus dem flimmernden Herzvorhof ins Gehirn geschwemmt werden und dort wichtige Gefäße verstopfen.
Der umgekehrte Fall ist weniger erforscht: Wie beeinflussen Schlaganfälle und andere Hirnerkrankungen das Herz? „Wir beobachten bei unseren Schlaganfallpatienten häufig eine Mitbeteiligung des Herzens“, sagt der Neurologe Jan Scheitz, Leiter der Arbeitsgruppe Integrative Kardio-Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. In den ersten Tagen nach einem Schlaganfall sei der Troponin-Wert im Blut bei 50 bis 55 Prozent der Betroffenen leicht erhöht, was auf eine Herzmuskelschädigung hindeutet. Bei 15 Prozent sei dieser Marker sogar so hoch wie bei einem Herzinfarkt. „Das hat uns vor die Frage gestellt, wie diese extreme Herzbeteiligung zustande kommt“, erzählt Scheitz.

Bei Stress im Hirn bricht das Herz

Schon länger ist bekannt, dass in den Monaten nach einem Schlaganfall das Risiko für einen Herzinfarkt, eine Herzschwäche oder Herzrhythmusstörungen steigt. Scheitz und sein Team vermuteten nun, dass Hirnerkrankungen auch eine spezielle Form des akuten Herzversagens auslösen könnten: das Takotsubo-Syndrom. Dabei zieht sich die Muskulatur der linken Herzkammer vorübergehend nur noch eingeschränkt zusammen. Die Beschwerden ähneln denen eines Herzinfarkts, sind aber nicht durch verstopfte Herzkranzgefäße bedingt. Klassischerweise sind ältere Frauen betroffen, die starken emotionalen Stress erlebt haben, beispielsweise weil sie einen Partner verloren haben – weshalb die Erkrankung auch Broken-Heart-Syndrom genannt wird.
IN DEN MONATEN NACH EINEM SCHLAGANFALL IST DAS RISIKO UM 20 PROZENT ERHÖHT, AUCH EINEN HERZINFARKT, EINE HERZSCHWÄCHE ODER HERZRHYTHMUSSTÖRUNGEN ZU BEKOMMEN.
SCHWERPUNKT HERZ UND GEHIRN
AM DZHK-STANDORT GÖTTINGEN
An der Universitätsmedizin Göttingen konzentriert man sich künftig verstärkt auf die Verbindung zwischen Herz und Gehirn: Im Jahr 2023 soll das Heart & Brain Center Göttingen (HCBG) in Betrieb genommen werden. Zudem läuft das neue Graduiertenkolleg „Herz und Gehirn. Integrative Forschung über Organgrenzen hinweg“ mit 30 Promovierenden aus Medizin und Grundlagenforschung für zunächst fünf Jahre an. Die Forschenden wollen untersuchen, wie kognitive Störungen durch eine Herzschwäche entstehen, sagt der DZHK-Wissenschaftler Gerd Hasenfuß, Leiter des HCBG und Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Göttinger Universitätsklinik. Außerdem widmen sie sich den genetischen und funktionellen Auslösern des Takotsubo-Syndroms: „Dazu programmieren wir Bindegewebszellen der Patienten zu pluripotenten Stammzellen um“, erklärt Hasenfuß. Aus diesen werden wiederum Nerven- und Herzzellen, die sich in einem organartigen Gewebemodell verbinden, dem Organoid. „Die interaktive Forschung soll dazu führen, die Grenzen der bisherigen organspezifischen Forschung zu überwinden.“
Um seine Vermutung zu überprüfen, suchte Scheitz zunächst gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Universitätsspital Zürich im internationalen Takotsubo-Register nach Personen, deren Takotsubo-Erkrankung mit einer Hirnerkrankung in Zusammenhang stehen könnte. Die Analyse von 2.400 Datensätzen ergab, dass auffällig viele Broken-Heart-Syndrome innerhalb von ein bis zwei Tagen nach einem Schlaganfall, einer Hirnblutung oder einem epileptischen Anfall auftraten. Rund sieben Prozent aller Takotsubo-Erkrankungen geht demnach ein neurologisches Ereignis voraus. Bei diesen Fällen war der Anteil der Männer mit rund 20 Prozent fast doppelt so hoch wie bei Takotsubo-Erkrankungen ohne vorangegangene neurologische Erkrankung. „Meist betrifft das Broken-Heart-Syndrom Frauen über 50, doch hier waren es mehr Männer und jüngere Patienten als üblich“, so Scheitz. Den Forschenden fiel außerdem auf, dass die Schlaganfälle dann häufiger zu Herzproblemen führten, wenn eine Hirnregion namens Inselrinde geschädigt wurde. „Das ist ein Bereich im Gehirn, der ankommende Informationen aus dem Herzen wahrnimmt und in einer Art Feedbackschleife Stressreaktionen steuert“, erklärt er. „Bei normalem psychischen Stress oder Angst steigert er die Herzfrequenz und den Blutdruck.“ Wird die Inselrinde verletzt, kommt dieser Regelkreis durcheinander, wodurch das Herz in Mitleidenschaft gerät. Die Verbindung zum Herzen konnten Heidelberger Forschende des DZHK auch im Tiermodell finden. Erzeugten sie künstlich einen Schlaganfall, hatten auch herzgesunde Tiere Herzmuskelprobleme wie bei einem Takotsubo-Syndrom.

Das „Stroke-Heart-Syndrom“

Wie genau das Takotsubo-Syndrom durch einen Schlaganfall entsteht, ist bisher nicht gänzlich verstanden. Scheitz und sein Team vermuten mehrere Wege: Zum einen reagiert der Körper auf einen Schlaganfall mit einer Entzündungsreaktion, die den Blutfluss in den kleinsten Blutgefäßen im Herzen stören kann. „Zum anderen kommt es zu einer gesteigerten Aktivierung der Stressachse, der Sympathikus-Achse. Dadurch prasseln vermehrt Adrenalin und Noradrenalin auf das Herz ein“, erklärt Scheitz. Der Sympathikus ist ein Teil des autonomen oder vegetativen Nervensystems, das unwillkürliche Körperfunktionen wie Atmung, Blutdruck oder Herzschlag beeinflusst. „Womöglich löst das autonome Nervensystem bei einem Schlaganfall eine so starke Stressantwort aus, dass sogar Jüngere und Männer vom Takotsubo-Snydrom betroffen sind, die normalerweise nicht so oft erkranken.“ Scheitz spricht daher von einem „Stroke-Heart-Syndrom“.
Herzenzym Troponin
Daraus ergibt sich die Frage, wie man in die auslösenden Mechanismen eingreifen kann. Tierexperimente deuten darauf hin, dass Herzmedikamente aus der Reihe der Beta-Blocker wirksam sein könnten. Sie bremsen den Einfluss der Katecholamine auf das Herz. „In klinischen Untersuchungen sind wir aber noch nicht ganz so weit“, sagt Scheitz. Die Berliner Forschenden arbeiten auch mit dem DZHK-Standort in Heidelberg zusammen, um die Grundlagen der Krankheitsentstehung besser verstehen zu können und „irgendwann spezifische Therapien in der Hand zu haben“.
Adrenalin
Noradrenalin
STRESSACHSE
Die Verbindung von Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde wird auch als HPA-Achse oder Stressachse bezeichnet. Als komplexes Aktivierungs- und Hemmungsmuster ist es die Grundlage dafür, wie unser Körper sich an Stress anpassen kann.

Was tun bei hohen Troponin-Werten im Blut?

Hohe Troponin-Werte nach einem Schlaganfall sind keine Seltenheit. Sie sagen aber nichts über die Ursachen. Neben dem Takotsubo-Syndrom kann es sich auch um Herzklappenprobleme, eine Herzschwäche oder verengte Herzkranzgefäße handeln. Letztere müssen umgehend mit einem Katheter geweitet werden. Auf rund ein Viertel der Schlaganfallpatienten mit erhöhten Troponin-Werten könnte dies zutreffen. Die genaue Diagnose zu stellen, ist bei dieser Patientengruppe jedoch schwierig. „Es gibt bisher noch keine richtige Marschroute für den Fall, dass der Wert nach einem Schlaganfall hoch ist“, sagt der Kardiologe Stefan Baumann, Leiter der Arbeitsgruppe Heart and Brain am Universitätsklinikum Mannheim.

In der PRAISE-Studie wollen Forschende des DZHK einen klinischen Algorithmus finden, der die Vorhersage eines akuten Koronarsyndroms beziehungsweise eines Herzinfarktes bei Schlaganfallpatienten ermöglicht. Baumann hat als kardiologischer Studienleiter für den Standort Mannheim teilgenommen. Geleitet wird das Projekt von Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Es ist die erste Kooperation des DZHK und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

An 24 Kliniken in Deutschland haben Ärztinnen und Ärzte deshalb die Herzkranzgefäße von Schlaganfallpatienten mit erhöhten Herzenzymen in einer Herzkatheteruntersuchung überprüft. Das Verfahren ermöglicht den Fachleuten, zu enge oder verschlossene Gefäße direkt mit einem Stent zu öffnen. Allerdings birgt es gerade bei Menschen nach einem Schlaganfall die Gefahr einer lebensgefährlichen Nachblutung, da währenddessen teilweise blutverdünnende Medikamente verabreicht werden.
WIR SIND AUF EINE GUTE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN KARDIOLOGEN UND NEUROLOGEN ANGEWIESEN, DAMIT WIR DIE PATIENTINNEN UND PATIENTEN IN ZUKUNFT BESSER VERSORGEN KÖNNEN.
Um diejenigen herauszufiltern, die von der Untersuchung wahrscheinlich nicht profitieren, hat Baumanns Arbeitsgruppe eine spezifische Vorgehensweise entwickelt, die risikoärmere Untersuchungen wie eine Bildgebung des Herzens vorschaltet. An der Uniklinik Mannheim kommt sie bereits zum Einsatz.

Laut Baumann sollen die Ergebnisse des nationalen Forschungsprojekts im Jahr 2023 publiziert werden. Ob es eine Folgestudie gibt, steht noch zur Diskussion. „Meiner Ansicht nach ist das dringend notwendig“, sagt Stefan Baumann. „Wir haben die Patienten alle kathetert und nicht untersucht, ob sie vielleicht gar keinen Herzkatheter für ihre Behandlung gebraucht hätten.“ Auch Jan Scheitz spricht sich für ein anschließendes organübergreifendes Projekt aus: „Wir sind auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Neurologie angewiesen, damit wir die Patientinnen und Patienten in Zukunft besser versorgen können.“
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