Um seine Vermutung zu überprüfen, suchte Scheitz zunächst gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Universitätsspital Zürich im internationalen Takotsubo-Register nach Personen, deren Takotsubo-Erkrankung mit einer Hirnerkrankung in Zusammenhang stehen könnte. Die Analyse von 2.400 Datensätzen ergab, dass auffällig viele Broken-Heart-Syndrome innerhalb von ein bis zwei Tagen nach einem Schlaganfall, einer Hirnblutung oder einem epileptischen Anfall auftraten. Rund sieben Prozent aller Takotsubo-Erkrankungen geht demnach ein neurologisches Ereignis voraus. Bei diesen Fällen war der Anteil der Männer mit rund 20 Prozent fast doppelt so hoch wie bei Takotsubo-Erkrankungen ohne vorangegangene neurologische Erkrankung. „Meist betrifft das Broken-Heart-Syndrom Frauen über 50, doch hier waren es mehr Männer und jüngere Patienten als üblich“, so Scheitz. Den Forschenden fiel außerdem auf, dass die Schlaganfälle dann häufiger zu Herzproblemen führten, wenn eine Hirnregion namens Inselrinde geschädigt wurde. „Das ist ein Bereich im Gehirn, der ankommende Informationen aus dem Herzen wahrnimmt und in einer Art Feedbackschleife Stressreaktionen steuert“, erklärt er. „Bei normalem psychischen Stress oder Angst steigert er die Herzfrequenz und den Blutdruck.“ Wird die Inselrinde verletzt, kommt dieser Regelkreis durcheinander, wodurch das Herz in Mitleidenschaft gerät. Die Verbindung zum Herzen konnten Heidelberger Forschende des DZHK auch im Tiermodell finden. Erzeugten sie künstlich einen Schlaganfall, hatten auch herzgesunde Tiere Herzmuskelprobleme wie bei einem Takotsubo-Syndrom.
Wie genau das Takotsubo-Syndrom durch einen Schlaganfall entsteht, ist bisher nicht gänzlich verstanden. Scheitz und sein Team vermuten mehrere Wege: Zum einen reagiert der Körper auf einen Schlaganfall mit einer Entzündungsreaktion, die den Blutfluss in den kleinsten Blutgefäßen im Herzen stören kann. „Zum anderen kommt es zu einer gesteigerten Aktivierung der Stressachse, der Sympathikus-Achse. Dadurch prasseln vermehrt Adrenalin und Noradrenalin auf das Herz ein“, erklärt Scheitz. Der Sympathikus ist ein Teil des autonomen oder vegetativen Nervensystems, das unwillkürliche Körperfunktionen wie Atmung, Blutdruck oder Herzschlag beeinflusst. „Womöglich löst das autonome Nervensystem bei einem Schlaganfall eine so starke Stressantwort aus, dass sogar Jüngere und Männer vom Takotsubo-Snydrom betroffen sind, die normalerweise nicht so oft erkranken.“ Scheitz spricht daher von einem „Stroke-Heart-Syndrom“.
Daraus ergibt sich die Frage, wie man in die auslösenden Mechanismen eingreifen kann. Tierexperimente deuten darauf hin, dass Herzmedikamente aus der Reihe der Beta-Blocker wirksam sein könnten. Sie bremsen den Einfluss der Katecholamine auf das Herz. „In klinischen Untersuchungen sind wir aber noch nicht ganz so weit“, sagt Scheitz. Die Berliner Forschenden arbeiten auch mit dem DZHK-Standort in Heidelberg zusammen, um die Grundlagen der Krankheitsentstehung besser verstehen zu können und „irgendwann spezifische Therapien in der Hand zu haben“.