SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)
Seit einem Vierteljahrhundert behandelt Prof. Martin Reck Menschen, die an Lungen­krebs erkrankt sind. Die Behandlungs­erfolge, die er heute dank neuer präziser Medi­kamente erzielen kann, hätte er zu Beginn seiner ärzt­lichen Karriere nicht für mög­lich gehalten.

Mit den Waffen des Immunsystems

Weit fortgeschritten war der Lungen­krebs der 61-jährigen Patientin, die sich 2013 bei Martin Reck in der LungenClinic Gross­hansdorf vor­stellte. Eine erste Chemo­therapie wirkte ungefähr ein Jahr lang, eine zweite weitere andert­halb Jahre. Dann ließ sich das metas­tasierte Geschwür nicht mehr aufhalten. „Die Pa­tientin hatte mit her­kömmlichen Mitteln keine Per­spektive mehr. Wir konnten ihr aber eine Immun­therapie anbieten“, sagt Martin Reck. „Heute ist die Frau 68 Jahre alt und merkt nichts mehr von ihrer Er­krankung.“ Das ist ein Einzelfall, doch in inter­nationalen kli­nischen Stu­dien zur medi­kamentösen Be­hand­lung von Lungen­krebs häufen sich ähnliche. „Wir kommen in eine völlig neue Kategorie der Nach­beobachtung, weil immer mehr Pa­tientinnen und Patienten viele Jahre mit einer stabilen Er­krankung leben.“ Das ist zwei Klassen von Medi­kamenten zu verdanken: ziel­gerichteten The­rapien, die einen Tumor an spezifischen Mu­tationen angreifen, mit denen er sein Wachstum vorantreibt, und The­rapien, welche die Waffen des Immun­systems schärfen und dem Tumor die Tarn­kappe entreißen, mit der er die körper­eigene Abwehr zu unter­laufen versucht.

Mutationen im Visier

Das erste ziel­gerichtete Medikament zur Behandlung von Lungen­krebs wurde 2009 zugelassen. Es blockiert einen Rezeptor in der Membran der Krebs­zelle, der Wachstums­signale in deren Inneres vermittelt. Weil es ein kleines Molekül ist, das nicht von Verdauungs­säften zersetzt wird, kann es oral ein­genommen werden. Die Pa­tientinnen und Patienten müssen also zur Be­handlung nicht in die Klinik kommen. Das Medi­kament hat zudem weniger Neben­wirkungen als ein Chemo­therapeutikum, welches auch die Tei­lung gesunder Körper­zellen hemmt. Es wirkt aber nur, wenn dieser Re­zeptor durch eine Mutation dauer­haft aktiviert ist. „10 bis 15 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit fort­geschrittenem Lungen­krebs haben eine Mutation, die sich mit einer ziel­gerichteten Therapie sehr erfolg­reich behandeln lässt“, sagt Martin Reck. „Für die anderen kommt jetzt das neue Prinzip der Checkpoint-Inhibition zum Tragen.“
DAS ERSTE ZIELGERICHTETE MEDIKAMENT ZUR BEHANDLUNG VON LUNGENKREBS WURDE 2009 ZUGELASSEN.

Gegen ein gefährliches Gleichgewicht

Checkpoints sind Kontroll­stellen, die unsere Immun­reaktionen im Gleich­gewicht halten. Sie ankern in der Membran von T-Lymphozyten, die virus­infizierte Zellen ebenso zerstören wie Tumor­zellen. Nach voll­endetem Angriff binden be­stimmte Botenstoffe des Immun­systems über solche Checkpoints an diese T-Zellen, was deren pro­grammierten Selbst­mord auslöst und damit verhindert, dass sie gesundes Gewebe attackieren. Manchmal wer­den die bremsenden Checkpoints aber zu früh aktiviert. Dann entwickelt sich aus einzelnen Krebs­zellen, die das Immun­system normaler­weise zuverlässig eli­miniert, ein Tumor. Tückischer­weise sind viele Tumoren dann selbst in der Lage, Boten­stoffe zu bilden, die T-Zellen an deren Checkpoints aus­knipsen. Dass die Hemmung der Check­points durch mono­klonale Anti­körper der Krebs­therapie eine neue Perspektive eröffnet, wurde Mitte der 1990er-Jahre entdeckt. Erstaun­licherweise zeigte die pharma­zeutische Industrie zunächst kaum Interesse daran. Es ist der Hart­näckigkeit der Grund­lagen­forschenden, die 2018 mit dem Nobel­preis für Medizin aus­gezeichnet wurden, zu verdanken, dass die Checkpoint-Inhibition dennoch zu einem Hoffnungs­träger geworden ist. Zur Behandlung von Lungen­krebs sind seit 2014 vier Checkpoint-Inhibitoren zugelassen worden, zwei davon blockieren den Programmed-Death-Checkpoint PD-1, zwei den an ihn bin­denden Boten­stoff PD-L1.
DANN ENTWICKELT SICH AUS EINZELNEN KREBSZELLEN, DIE DAS IMMUNSYSTEM NORMALERWEISE ZUVERLÄSSIG ELIMINIERT, EIN TUMOR.

Verdopplung des Fünf-Jahres-Überlebens

ERFOLGE AUCH BEIM BÖSARTIGEN
KLEINZELLIGEN KARZINOM
„Von den 650 Patienten, die wir hier jährlich neu mit Lungen­krebs diag­nostizieren, befinden sich etwa 400 in einem fort­geschrittenen Stadium“, sagt Reck. „300 davon behandeln wir mit einer Immun­therapie oder einer Kom­bination aus Immun- und Chemo­therapie.“ So viele Patienten mit Lungen­karzinomen behandeln die großen Krebs­zentren meist nicht. Die LungenClinic Gross­hansdorf hat früh eine spe­zialisierte Abteilung für Thorax­on­kologie und ein dichtes inter­nationales Netz­werk aufgebaut, sodass Reck und sein Team eine führende Rolle in klinischen Prü­fungen der neuen Immun­therapien spielen. Dabei beo­bachten sie sogar gegen das besonders bös­artige kleinzellige Karzinom be­merkens­werte Erfolge. „Seit über 20 Jahren sehen wir dabei in Kom­bination mit einer Chemo­therapie erstmals eine Ver­besserung der Therapie.“ Noch deutlicher wird das Potenzial von Immuntherapien bei Patienten mit einem metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), deren Tumoren den Botenstoff PD-L1 ausschütten. Das zeigen die Ergebnisse der ersten Langzeitstudie mit einem PD-1-Inhibitor als Erstlinien­therapie, die Reck im Herbst 2020 beim euro­päischen Krebs­kongress präsentierte. Fünf Jahre nach Beginn der Behandlung lebten demnach noch 31,9 Prozent der 154 mit diesem Prä­parat be­handelten Patienten – fast doppelt so viele wie in der Vergleichs­gruppe der 151 mit einer Chemo­therapie behandelten Patienten, die eine Überlebens­rate von 16,3 Prozent aufwiesen.
CHECKPOINT-INHIBITOREN SIND VIEL BESSER VERTRÄGLICH.

Gut verträglich, aber teuer

„Checkpoint-Inhibitoren sind viel besser verträglich als Chemo­therapien“, sagt Martin Reck. „Bei ungefähr einem Drittel der Patien­tinnen und Patienten tritt aller­dings eine neue Klasse von immun­assoziierten Neben­wirkungen auf, vor allem Ent­zündungen der Leber, des Darms und der Schilddrüse.“ Bei den meisten Betroffenen verlaufen diese Ent­zündungen moderat. Zusammen mit einer Chemo­therapie verlangt eine Immuntherapie den Patientinnen und Patienten jedoch viel ab. „Da kombinieren wir zwei Neben­wirkungs­spektren mit­ein­ander und müssen sehr darauf achten, dass es den Be­handelten gut geht.“ Zudem kostet die Therapie rund 100.000 Euro jährlich – eine für die Belast­barkeit des Ge­sund­heits­systems grenz­wertige Summe, räumt Martin Reck ein. Er hofft jedoch auch auf eine kon­tinuierliche Senkung der Behandlungs­kosten.
IMPFUNGEN WERDEN HÖCHSTENS IN
EINEM FRÜHEN STADIUM HELFEN.

Resistenzen beschränken Wirksamkeit

Trotz aller Erfolge: Ein Wunder­mittel sind Checkpoint-Inhibitoren nicht. „Bei etwa 25 Prozent aller Patien­tinnen und Patienten wirken sie auch über Jahre gut.“ Viele Lungen­krebs­patientinnen und -patienten sprechen aber über­haupt nicht auf sie an, ihre Tumoren sind gegen eine Immun­therapie primär resistent. Andere reagierten zwar anfangs gut, nach etwa einem Jahr wachse ihr Tumor aber weiter. Laut Reck laufen mehr als 500 Studien weltweit, zum Beispiel zur Kombination mit ziel­gerichteten Medi­kamenten oder Hemm­stoffen der Gefäß­neubildung im Tumor. Der Mediziner ist skeptisch, inwiefern andere Immun­therapien die Checkpoint-Inhibition ergänzen können. Mehrere mRNA-Impfstoffe würden derzeit klinisch geprüft, bisher hätten jedoch alle Impf­strategien beim Lungenkrebs versagt. „Wenn überhaupt, dann werden mRNA-Vakzine eher in einem frühen Lungen­krebs­stadium helfen.“ Aber wer weiß, welche Über­raschungen die Zukunft bereit­hält. Als Martin Reck vor 25 Jahren begann, Lungen­krebs zu the­rapieren, hätte er sich schließ­lich auch nicht träumen lassen, welche Fort­schritte er erleben würde: „Von zehn Patientinnen und Patienten, die sich mit einem fort­geschrittenen Lungen­karzinom vorstellten, lebte damals nach einem Jahr noch eine oder einer, heute sind es vier bis fünf.“
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