SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Das Spiel des Lebens – Genom

Im Genom des Menschen finden Forscher viele Ansatzpunkte, um Erkrankungen besser zu verstehen, ihnen vorzubeugen und sie zu behandeln. Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung leisten hier in vielen Projekten wichtige Beiträge.
MAN KÖNNTE SAGEN, JEDER MENSCH HAT VOM SCHICKSAL EINEN SATZ KARTEN AUSGETEILT BEKOMMEN. JE NACH KOMBINATION DER KARTEN HAT MAN EIN EHER GUTES ODER EIN EHER SCHLECHTES BLATT.
In jeder einzelnen der rund 100 Billionen Zellen unseres Kör­pers steht mit der DNA der menschliche Bauplan geschrieben. Grundlage dieses Bauplans sind unsere Gene: Sie bestimmen mit über unser Aussehen, unseren Stoffwechsel oder auch die Art und Weise, wie der Körper auf Umweltfaktoren reagiert. Und sie bestimmen mit über unsere Gesundheit. „Man könnte sagen, jeder Mensch hat vom Schicksal einen Satz Karten aus­ geteilt bekommen“, sagt Thomas Braun vom Deutschen Zent­rum für Lungenforschung (DZL), Direktor des Max-­Planck-­Insti­tuts für Herz­ und Lungenforschung. „Je nach Kombination der Karten hat man ein eher gutes oder ein eher schlechtes Blatt.“

Mutationen erhöhen das Krankheitsrisiko

Das Blatt steht für unser Erbgut: Indem sich die Erbanlagen von Mutter und Vater verbinden, entsteht ein eigenes Profil. Und durch Varianten dieser Gene, sogenannte Mutationen, steigt das Risiko für Erkrankungen. Diese können durch eine Mutation in nur einem Gen verursacht werden. Das ist in der Regel bei Erb­krankheiten der Fall. Oder durch Veränderungen in verschie­denen Genen, zum Beispiel bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs, Demenz oder Herz-­Kreislauf­-Erkrankungen. „Die Wahrscheinlichkeit, von einer Volkskrankheit betroffen zu sein, er­höht sich also erst, wenn verschiedene Gene, die verändert sind, in Kombination auftreten“, erklärt Thomas Braun. Die Summe all unserer Gene – das Genom – definiert uns als Individuum. Wie bestimmte Gene mit Erkrankungen verknüpft sind, wird zum Beispiel mit genomweiten Assoziationsstudien erforscht: Dabei identifiziert man die jeweilige Variation des Genoms und erkun­det, wie sie mit einer Krankheit verbunden ist.
DNA
Abkürzung für Desoxyribonukleinsäure. Die DNA ist ein in den Chromosomen befindliches Biomolekül, das bei allen Lebewesen als Träger der Erbinformation fungiert. Sie ist ein spiralförmiger Doppelstrang aus Nukleotiden – speziellen Bausteinen, die miteinander verknüpft sind.
GEN
Kleinster funktionaler, physischer Vererbungsbaustein, der von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird. Gene sind Teile der DNA. Die meisten Gene enthalten Informationen zur Synthese eines Proteins mit einer spezifischen Funktion.
MUTATIONEN
sind Veränderungen im Erbgut, die ständig bei jedem Lebewesen und bei jeder Zellteilung auftreten können.
GENOM
Das menschliche Genom umfasst das gesamte genetische Material einer Zelle und enthält damit die Gesamtheit der vererbbaren Informationen.

Gene gezielt ausschalten

Um Krankheiten behandeln zu können oder ihnen vorzubeugen, muss man sie möglichst genau verstehen, ihre Ursachen und Entstehungsmuster entschlüsseln. Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) identi­fiziert zum Beispiel mithilfe von sogenannten Knockouts Gene, die bei der Entstehung von Diabetes mitwirken: Dabei werden bei Mäusen gezielt einzelne Gene ausgeschaltet. DZD-­Forscherinnen und ­-Forscher untersuchen dann die Stoffwechselprozesse an diesen Modellen – und erkunden, ob das fehlen­de Gen an wichtigen Prozessen beteiligt ist.

In dem DZD­-Projekt wurden knapp 1.000 Gene identifiziert, bei denen es sich auf den Zucker­- und Fettstoffwechsel auswirkt, wenn sie feh­len. Sie könnten zum Beispiel als Biomarker dafür eingesetzt werden, das individuelle Risiko für eine Erkrankung vorherzusagen – oder für deren Diagnostik.

„Für mehr als ein Drittel der Gene war zuvor keine Verbindung zum Stoffwechsel bekannt“, sagt DZD-­Vorstand Prof. Dr. Martin Hrabé de Angelis. Die Funktion von 51 der gefundenen Stoffwechselgene war bisher sogar völlig unbekannt. Der Abgleich mit dem menschlichen Genom hat gezeigt, dass 23 Gene offenbar eine Rolle bei Diabeteserkrankungen spielen.

Zellen gezielt therapeutisch beeinflussen

Das Blatt, mit dem wir unser Leben „spielen müssen“, mag von Geburt an feststehen. Aber einzelne Mutationen können im Laufe des Lebens aktiviert werden, wenn beispielsweise Umweltbedingungen die genetischen Informationen verstärken. Die Summe aller aktivierten Gene wird Transkriptom genannt. Wenn der Körper eine Virusinfektion durchmacht, dann entscheidet das Profil der betroffenen Zelle darüber, wie sich sein Transkriptom durch die Infektion verändert. Am DZL wird beispielsweise untersucht, wie sich Lungenzellen transkriptionell verändern, nachdem sie mit dem Influenza­-Virus infiziert wur­den: „Wir können sehr fein aufgelöst auf dem Niveau einzel­ner Zellen untersuchen. Und daraus ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, ganz gezielt auf solche Zellen zuzugreifen und sie therapeutisch zu beeinflussen.“ Die Forschung wird also komplexer und aufwendiger – aber vor allem eröffnet sie neue Chancen in der Behandlung.

Viel genauere Sequenzierung möglich

Grundlage dafür war das Humangenomprojekt, das 1990 als internationales Forschungsvorhaben startete und 2001 sein Ziel erreichte: die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Dabei wurde durch Sequenzieren identifiziert, wie die Basenpaare der menschlichen DNA auf ihren einzelnen
Chromosomen aufeinander folgen. Diese Sequenzierung ist das wohl wichtigste Werk­zeug, um das Genom zu erforschen. Und dank des schnellen technologischen Fort­schritts ist es in den vergangenen Jahren wesentlich leistungsfähiger und gleichzeitig kostengünstiger geworden. So können heute umfassendere Analysen sehr viel schneller durchgeführt werden: „Früher haben wir bei der Untersuchung der Lunge das Transkrip­tom der Gesamtheit der Zellen untersucht. Heute schauen wir die Transkriptome von 50.000 individuellen Zellen an“, so Thomas Braun.
DAS TRANSKRIPTOM
ist die Summe aller Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle transkribiert wurden, also von der DNA in RNA umgeschrieben wurden. Dieser Vorgang der Transkription ist Voraussetzung für die Umsetzung des Gens in ein funktionelles Protein.
RNA
Die Ribonukleinsäuren sind wichtige Informations- und Funktionsträger einer Zelle. Sie sind unter anderem für die Umsetzung der DNA in Proteine notwendig.
NUKLEINSÄUREN
sind Makromoleküle, die bei allen Organismen die genetische Information enthalten.
SEQUENZIERUNG
Bei der Sequenzierung von DNA wird die Abfolge der Nukleotide in einem DNA-Molekül bestimmt.
MAN KANN AUCH MIT EINEM EHER SCHLECHTEN BLATT GEWINNEN ODER EIN GUTES BLATT VERSPIELEN.

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind Teamerfolge

Je mehr Daten gewonnen werden können, desto größer ist der Bedarf, sie auszuwerten und zu nutzen. Das gelingt durch Bioinfor­matik: Vertreterinnen und Vertreter dieses Fachs sind in der Forschung derzeit sehr ge­fragt. „Wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer Teamerfolge, sie können nur erreicht werden, wenn sich die Expertise verschiede­ner Disziplinen ergänzt“, bekräftigt Thomas Braun. Die Deutschen Zentren der Gesund­heitsforschung können das außergewöhnlich gut leisten, verbinden sie doch das Know­-how aus Forschung und Klinik.

Mit Gendaten von Gesunden Krankheiten erforschen

Genetische Daten unterscheiden sich von Land zu Land und sogar von Region zu Region. Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) hat daher die kompletten Gene von 1.200 gesunden Personen aus sechs Regionen Deutschlands sequenziert. Sie dienen als Vergleichs-Ressource für die Herz-Kreislauf-Forschung und andere Volkskrankheiten, bezogen auf Deutschland: Forscher können damit nun genauer ermitteln, welche Unterschiede es zwischen gesunden und kranken Menschen gibt.

Fast alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben mehrere Ursachen: Nicht ein einzelnes, sondern viele Gene in Kombination mit einem ungesunden Lebensstil und ungünstigen Umweltfaktoren machen krank. Werden die Genvarianten von kranken Personen mit denen von Gesunden verglichen, zeigen sich Muster, welche bei den Kranken häufiger vorkommen als bei den Gesunden. Sie können den Krankheitsmechanismus erklären und zu neuen Therapien führen. Das DZHK stellt die Genomdaten auch für die Erforschung anderer Volkskrankheiten zur Verfügung.
#DZHK

Zellatlas der alternden Lunge

Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich die Lungenfunktion und die Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen nimmt zu. Um diesen Effekt im Detail zu verstehen, haben Forschende des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) den Alterungsprozess der Lunge auf Ebene einzelner Zellen untersucht und mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet. Dazu wurden in einem präklinischen Modell Veränderungen zwischen jungen und alternden Lungen mittels Sequenzierung untersucht. Es zeigte sich, dass sich die Gene in Zellen eines bestimmten Typs mit zunehmendem Alter nicht mehr synchron verhielten. In jüngeren Lungen kontrollieren Zellen eines Typs die Aktivität ihrer Gene sehr genau, während die Genaktivität von älteren Zellen weniger konstant ist. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich mit zunehmendem Alter die Epigenetik in jeder Zelle individuell verändert und es so zu den unterschiedlichen Genaktivitäten kommt. Zudem konnten sie zeigen, dass in den Lungenzellen mit zunehmendem Alter bestimmte Stoffwechselwege stärker oder schwächer aktiv sind.
#DZL

Im Kern werden die Karten gemischt

Grundlage des menschlichen Bauplans sind 46 Chromosomen im Kern jeder Körperzelle. Jedes Chromosom enthält einen Teil unseres Erbguts, das in Form von Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert ist. Auf dem DNA-Molekül bilden einzelne Abschnitte die Information für ein Gen. Damit diese Information zugänglich wird, muss sich das spiralig verknäuelte Nukleinsäure-Molekül zunächst entwirren und öffnen. Dann wird eine mRNA (Boten-Ribonukleinsäure in Rot) als Genkopie hergestellt und aus dem Kern ins Zellplasma transportiert. Hier wird die mRNA von den Ribosomen erwartet – Synthesemaschinen, die den genetischen Code erkennen und in ein Protein, bestehend aus einer Aminosäurekette, umsetzen können. Jedes Protein erfüllt eine bestimmte Aufgabe: Beispielsweise legen Strukturproteine die Haut- und Haarfarbe fest und Enzyme steuern spezifische Stoffwechselprozesse im Körper. Aus der Gen-Ausstattung im Kern (Genotyp) entsteht das Individuum mit seinen Eigenschaften (Phänotyp), die das Aussehen ebenso umfassen wie unsere körperliche Verfassung. Die Karten sind verteilt.

Präzise Medizin wird die Zukunft prägen

Thomas Braun rechnet für die kommenden Jahre mit weiteren, großen Fortschritten in der präzisen Medizin. „Dann wird jeder Tumor sequenziert werden, um ihn genau zu charakterisieren und entsprechend besser zu behandeln“, erklärt er.  Bei Infek­tionskrankheiten können die Erreger sequenziert werden – dadurch werden zum Beispiel schneller Resistenzen sichtbar und eine wirksame Antibiotikatherapie möglich.

Dabei ist es nicht immer so, dass die Zahl der Therapieoptio­nen wächst, je mehr Diagnostik möglich ist. Denn selbst wenn Gene, die eine Krankheit auslösen, genau analysiert und identifiziert werden, kann man sie in der Regel nicht gezielt be­handeln: „Wenn man beispielsweise ausschließlich Tumorzellen ansteuern könnte, dann hätten wir Krebs schon längst geheilt“, sagt Braun. Er ist aber optimistisch, dass die Forschung hier in absehbarer Zeit Durchbrüche erzielen wird: „Ich sehe enorme Entwicklungsmöglichkeiten, wenn es darum geht, simultan verschiedene Gene zu manipulieren und das auch zeitlich begrenzt.“ Eine Option, die es bereits heute gibt, ist CRISPR/Cas: Diese „Gen­-Schere“ kann DNA gezielt schneiden und verän­dern. Sie wird zum Beispiel bei Immunzellen eingesetzt.
DAS CRISPR/CAS-SYSTEM
ist eine molekularbiologische Methode, mit der DNA gezielt geschnitten und verändert werden kann. Einzelne DNA-Bausteine können mit der auch „Gen-Schere“ genannten Technologie eingefügt, entfernt oder verändert werden.

Noch viele Geheimnisse zu lösen

Noch birgt das Genom viele Geheimnisse. Sie aufzudecken, gehört wohl zu den spannendsten Bereichen der medizinischen For­schung. Wenn man an das Bild mit den Spiel­karten denkt, dann gilt: Man kann auch mit einem eher schlechten Blatt gewinnen oder ein gutes Blatt verspielen. Wer möglichst gesund lebt, sich ausreichend bewegt, gut ernährt und sich wenig schädigenden Stoffen aussetzt, kann den Spielverlauf positiv beeinflussen. Und wenn Krankheiten auftreten, kann Medizin in vielen Fällen helfen. Die Forscherinnen und Forscher der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung arbeiten intensiv daran mit, dass das immer zuver­lässiger funktioniert.
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