SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)
Tumor ist nicht gleich Tumor – zu unterschiedlich sind die Mutationen in den Krebszellen. Das vom DKTK unterstützte INFORM-Register will Kindern eine auf ihren Tumor massgeschneiderte Therapie ermöglichen. Denn nur so können besonders aggressiv wachsende und aktuell nicht heilbare Tumoren vielleicht in Zukunft besser behandelt werden.

Gemeinsam zum Erfolg

Wenn Kinder an Krebs erkranken, ste­hen die Heilungschancen zunächst relativ gut: Mithilfe von Operation, Strahlen­ und Chemotherapie lassen sich fast 80 Prozent aller Tumore im Kindesalter dauerhaft heilen. Doch allein in Deutschland erleiden etwa 500 Kinder pro Jahr einen Rückfall. Und wenn der Krebs erneut aufflammt, sieht die Situation leider ganz anders aus. Der neue Tumor ist in der Regel gefährlicher und bösartiger als der erste und spricht oft nicht mehr auf die Standardtherapien an. „Bei einem Rückfall hat, mit Ausnahme der Leukämien, nur etwa eins von zehn Kindern eine Chance auf Heilung“, sagt Prof. Dr. med. Stefan Pfister aus dem Ärzteteam des INFORM­-Programms, Direktor der Präklinischen Kinderonkologie am Hopp­-Kin­dertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), Abtei­lungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Wissenschaftler im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK).
ALLEIN IN DEUTSCHLAND ERLEIDEN ETWA 500
KINDER PRO JAHR EINEN RÜCKFALL.

Individualisierte Therapie

Um die Überlebensrate zu verbessern, wur­de 2013 am DKFZ und am gemeinsam von DKFZ und Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) etablierten KiTZ in Heidelberg das IN­FORM­-Projekt ins Leben gerufen. INFORM steht für „Individualized Treatment For Relapsed Malignancies in Childhood“: Es will eine indi­vidualisierte Therapie bei Rückfällen von bös­artigen Tumoren oder besonders aggressiven Primärtumoren bei Kindern bieten. Denn kein Tumor gleicht dem anderen. Selbst wenn die entarteten Zellen im gleichen Organ wuchern, gibt es zwischen den Patientinnen und Patienten große Unterschiede bei den Mutationen und Signalveränderungen innerhalb der Krebszellen. „Das führt dazu, dass ein Medikament, welches bei Patient A eine gute Wirkung erzielt, bei Patient B überhaupt keinen Effekt hat“, sagt Dr. David Jones, ebenfalls Koordinator des INFORM­-Programms und Leiter der Nachwuchsgruppe Pädiatrische Gliomforschung am DKFZ und KiTZ. Im Moment finanziert sich das INFORM­-Programm durch Drittmittel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), ein Herz für Kinder und durch eine private Spende der Familie Scheu. Das DKTK unterstützt die molekulare Diagnostik des INFORM-­Programms. Ziel ist es, INFORM bis voraussichtlich Mitte 2022 in eine Leistung des öffentlichen Gesundheitssystems zu überführen.

Jeder Tag zählt

Um nicht unnötig Zeit zu verlieren, müssen die Ärztinnen und Ärzte möglichst schnell herausfinden, welcher Behandlungsansatz der passende ist. Am DKFZ in Heidelberg wird daher zunächst ein molekularer Fingerabdruck der Tumorzellen erstellt. „Wichtig ist dabei, dass wir eine aktuelle Gewebeprobe verwenden, denn oft hat sich der Tumor während der ersten Behandlungsrunde deutlich verändert und weist jetzt ganz andere Genveränderungen auf“, erklärt der Molekulargenetiker David Jones. Wenn die Ergebnisse der molekularen Analyse vorliegen, tritt ein interdisziplinäres Expertengremium mit den Behandlern vor Ort und den nationalen Expertinnen und Experten für die jeweilige Krankheit in einer Onlinekon­ferenz zusammen und berät über die Erfolg versprechendste Therapieoption. Neben den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sind weitere Kolleginnen und Kollegen aus der Kinderonkologie, Biologie und Bioinformatik sowie andere Spezialistinnen und Spezialis­ten dabei. Das Gremium diskutiert jeden Fall und erörtert, wie dem Patienten oder der Patientin am besten geholfen werden kann. Bei der Behandlung zählt jeder Tag: „Un­ser Ziel ist, dass zwischen der Einsendung der Gewebeprobe und der Tagung des Tumor­-Boards nicht mehr als drei Wochen Zeit vergehen“, erklärt Prof. Dr. med. Uta Dirksen, ebenfalls Mitglied des Koordinatoren­-Teams von INFORM. Sie ist am DKTK Standort Es­sen/Düsseldorf als stellvertretende Direk­torin der Klinik für Kinderheilkunde III am Universitätsklinikum Essen tätig und leitet den pädiatrischen Sarkom­-Schwerpunkt am Westdeutschen Tumorzentrum Essen.
EIN MEDIKAMENT, WELCHES BEI PATIENT A WUNDER BEWIRKT, KANN BEI PATIENT B OHNE EFFEKT BLEIBEN.

Impfung regt Abwehrzellen an

Grundsätzlich gibt es für die Kinder zwei Mög­lichkeiten: Sie können in eine bereits laufende klinische Studie eingeschlossen werden oder sie erhalten einen Einzelheilversuch, also eine für den individuellen Patienten nach sorgfälti­ger Abwägung verschriebene experimentelle Therapie. „Wir versuchen, auch neue klinische interventionelle Studien zu initiieren“, erklärt Stefan Pfister. So war es beispielsweise beim DKTK-­geförderten Projekt iVAC­-ALL der Fall, das sich an Patientinnen und Patienten mit Rückfällen bei Akuter Lymphatischer Leukämie (ALL) richtet. Dabei erhielten die Probandinnen und Proban­den einen Impfstoff, der die körpereigenen Abwehrzel­len dazu anregen soll, die Leukämiezellen zu finden und zu zerstören. Damit der Impfstoff funktioniert, musste er individuell angefertigt werden.

Dieser Impfstoff ist ein Beispiel für ein sogenann­tes intelligentes Medikament, das sich ausschließlich gegen krebstypische Zellveränderungen richten soll. Der große Vorteil: Andere sich teilende gesunde Kör­perzellen werden verschont. Die typischen Nebenwirkungen von Chemo­ und Strahlentherapie wie Blutarmut, Haarausfall oder Schleimhautentzündung treten weniger ausgeprägt oder gar nicht auf. „Solch eine Therapie kann gleichzeitig wirksam und neben­wirkungsarm sein“, fasst Stefan Pfister zusammen, der gemeinsam mit dem Kinderonkologen Prof. Dr. med. Peter Lang und dem Immunologen Prof. Dr. Hans­-Georg Rammensee, beide vom Universitätsklinikum Tübingen und Wissenschaftler im DKTK, die iVAC­-ALL- Studie koordinierte. Bei iVAC­-ALL haben fünf der acht DKTK­-Standorte kooperiert. Das ermöglichte Patientinnen und Patienten aus Heidelberg, Berlin, Essen/ Düsseldorf, München und Tübingen, an der Studie teil­zunehmen. Die Rekrutierung in der Phase­-I/II­-Studie wurde kürzlich abgeschlossen.

Erfolg durch Translation

Mit großen Kollaborationen hat man am DKFZ Erfahrung: Im Rahmen der Forschung des Internationalen Krebsgenomkonsortiums (ICGC) hatten Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler in Heidelberg 2010 da­mit begonnen, die molekularen Ursachen für kindliche Gehirntumore zu erforschen. „Dadurch waren wir mit der Expertise ausgestattet, Krebsgenome in größerem Stil zu sequenzieren“, erklärt der Kinderonkologe Ste­fan Pfister. „Diese Technologie wollten wir direkt für die Patienten nutzbar machen, denn Erfolg zeigt sich bei den Patienten letztlich erst durch Translation in die Krankenversorgung.“ INFORM stellt damit einen folgerichtigen nächsten Schritt des ICGC dar.

Co­-finanziert durch das DKTK wurde zwei Jahre lang vor allem am Aufbau der Infrastruktur und Logistik gearbeitet. Schließlich sollten alle Kinder und Jugendlichen mit einem Rückfall einer Krebserkrankung in Deutschland den Zugang zu dem Register erhalten und von den Daten profitieren. Beteiligt sind auch kinderonkologische Studiengruppen der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH), deren stellvertretende Vorsitzende Uta Dirksen ist: „Inzwischen sind deutschlandweit 18 Studiengruppen und 55 pädiatrisch­-onkologische Zentren am INFORM­-Register beteiligt“, sagt Uta Dirksen.

Register international ausgeweitet

2016 wurde das Register auf andere Länder ausgeweitet. Aus Polen, Schweden, Finnland und weiteren neun Ländern kommen zurzeit Gewebeproben von jungen Patienten zur Analyse nach Heidelberg. Ein englisch­ sprachiges Tumor­-Board berät anschließend über die nächsten Schritte. In Australien, den Niederlanden oder Großbritannien wurden eigene Projekte nach dem Vor­bild von INFORM initiiert, damit junge Patientinnen und Patienten zukünftig bessere Therapieoptionen erhalten.
DAS TUMOR-BOARD BERÄT ÜBER DIE NÄCHSTEN SCHRITTE.
Doch warum eigentlich nur Kinder? Könnten den glei­chen Prozess nicht auch erwachsene Krebspatientin­nen und -­patienten durchlaufen? Leider nicht uneingeschränkt. Denn Tumore bei Erwachsenen entstehen meist, wenn die Zellen kontinuierlich schädlichen Um­welteinflüssen wie beispielsweise Tabakrauch ausgesetzt sind. Krebszellen häufen dadurch leicht Tausende Mutationen an – von denen die meisten jedoch keinen geeigneten therapeutischen Angriffspunkt bieten. Kin­dertumore hingegen entstehen in der Regel spontan und weisen im Schnitt 15 Mal weniger Mutationen auf als Tumore bei Erwachsenen. Das macht es für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leichter, die ursächlichen Mutationen zu identifizieren und potenziel­le therapeutische Angriffspunkte zu identifizieren. Um aber auch diejenigen Patienten im Erwachsenen­-Be­reich mit genetisch weniger komplexen Tumoren zu versorgen, wird mit dem DKFZ/NCT/DKTK MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication Research) ein analoges Programm für junge Patienten unter 51 Jahren und Patienten mit seltenen Tumoren angeboten.
Mit dem Wissen aus ihren jeweiligen Fachbereichen entwickeln die Expertinnen und Experten individuelle Therapieempfehlungen.
Biologin
Beurteilt die Ergebnisse der bioinformatischen Analysen nach biologischen Gesichtspunkten, um Angriffspunkte für Medikamente zu finden und die Krankheiten besser zu verstehen.
Pharmakologe
Hilft dabei, Wirksamkeit und Nebenwirkungen möglicher Wirkstoffe zu beurteilen.
Pathologin
Bewertet die eingesendeten Proben und charakterisiert und klassifiziert den Tumor anhand der molekularen Daten.
Bioinformatikerin
Wertet die molekulare Analyse aus, um Abweichungen des Tumors vom Normalgewebe zu finden.
Humangenetiker
Betrachtet bei Keimbahnmutationen die Risiken für die gesamte Familie und bietet auf Wunsch auch Beratungen für die betroffenen Familien an.
Kinderonkologe
Leitet als behandelnder Arzt und Experte in der Diagnostik und Behandlung der jeweiligen Tumorerkrankung die bestmöglichen Behandlungsschritte ein.
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