SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Wer sich längere Zeit ungesund ernährt, verändert womöglich dauerhaft wichtige Schaltstellen in seinem Erbgut. Eltern erhöhen dadurch nicht nur das eigene Risiko für Diabetes, sondern auch das ihrer Kinder. Umgekehrt kann ein gesunder Lebensstil vor Krankheiten schützen. Die molekularen Ursachen für diese Zusammenhänge werden am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) ergründet.

Der Lebensstil schlägt sich im Erbgut nieder

Gene oder Umwelt – was hat mehr Macht über unsere Gesundheit? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Wie sehr sich körpereigene und äußere Einflüsse überlagern und wechselseitig beeinflussen, erforscht eine neue Disziplin namens Epigenetik. Sie befasst sich mit jenen Eigenschaften von Genen, die nicht von der DNA selbst abhängen, sondern von ihrer Ablesebereitschaft, sprich: von ihrer epigenetischen Signatur. Diese wird durch verschiedene Biomoleküle vermittelt, die wie chemische Schlösser den Zugang zu bestimmten DNA­Sequenzen verwehren oder frei­geben und so deren Aktivierbarkeit kontrollieren.

Die Signatur bestimmt mit, ob Menschen krank werden oder nicht. „Das kennen wir von eineiigen Zwil­lingen, die ja dieselbe genetische Ausstattung haben. Selbst wenn Zwillinge im selben Haushalt aufwach­sen und das Gleiche essen, kann einer im Laufe des Lebens einen Diabetes bekommen, während der an­dere verschont bleibt“, erklärt Annette Schürmann vom DZD, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) die Abteilung Experimentelle Diabetologie leitet. Solche ungleichen Lebensläufe gibt es auch bei Mäusen: „Wir haben genetisch identische Mäuse aus demselben Stamm mit der gleichen fettreichen Diät gefüttert und die Tiere haben sich trotzdem unterschiedlich entwickelt. Sogar aus demselben Wurf nehmen manche Mäuse stärker zu als ihre Geschwister und bilden schon früh eine Fettleber aus. Die Genetik liefert dafür keine Erklärung. Also haben wir uns die Epigenetik angesehen“.
EPIGENETIK BEFASST SICH MIT DER 
ABLESEBEREITSCHAFT VON GENEN.

Mäuse zeigen den Weg

Schürmanns Team untersuchte 340 genetisch identi­sche Mäuse. Alle Nager hatten das gleiche fettreiche Futter gefressen, doch nur die Hälfte von ihnen be­kam daraufhin eine Fettleber. In den Insulin­-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse fanden die Forschenden fast 500 Gene, deren epigenetische Sig­naturen sich bei den beiden Mäusegruppen deutlich unterscheiden. Auch die zugehörigen Genprodukte waren in verschieden hohen Konzentrationen in den Zellen vertreten – wie man es erwartet, wenn die entsprechenden Gene unterschiedlich stark abgelesen werden. Offensichtlich gibt es also einen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselentgleisung der Mäuse und der epigenetischen Signatur bestimmter Erbanlagen. Ist das beim Menschen ähnlich? Dies untersuchten die Forscherinnen und Forscher nicht in der Bauchspeicheldrüse: „Viele epigenetische Verän­derungen passieren nicht nur in einem Zelltyp, sondern in mehreren Zelltypen“, so Schürmann. „Zum Beispiel im Blut, wo sie sich leicht nachweisen lassen.“
SELBST WENN ZWILLINGE IM SELBEN HAUSHALT AUFWACHSEN UND DAS GLEICHE ESSEN, KANN EINER IM LAUFE DES LEBENS EINEN DIABETES BEKOMMEN, WÄHREND DER ANDERE VERSCHONT BLEIBT.

Volltreffer in Blutproben

Um solche Veränderungen zu finden, wählte das DIfE­ Team 176 der knapp 500 Gene aus, die bei der Mäusestudie durch epigenetische Besonderheiten aufgefallen waren und zudem eine sehr weitgehende Entsprechung im menschlichen Erbgut haben. Würden sich die epigenetischen Signaturen dieser Gene im Blut gesunder und zuckerkranker Menschen unterscheiden? Die Antwort lieferten Blutproben von Freiwilligen, die im Rahmen einer Langzeitstudie namens EPIC alle fünf Jahre medi­zinisch untersucht werden. Die Potsdamer Forschenden wählten 540 EPIC­-Probanden aus und verglichen deren eingelagerte Blutproben. Alle Testpersonen waren zum Zeitpunkt der Blutabgabe gesund. Während das für die Hälfte von ihnen fünf Jahre später immer noch zutraf, waren die übrigen mittlerweile an Typ­-2­-Diabetes erkrankt. Der Vergleich ihrer Blutzellen brachte große Unterschiede: „Tatsächlich fanden wir ganze 105 Gene mit epigenetischen Veränderungen zwischen den beiden Gruppen. Bei den später erkrankten Probanden hat sich also schon Jahre vorher im Blut ein Diabetes angekündigt“, betont Annette Schürmann.

Bestätigung erfährt dieser sensationelle Fund durch Studien an der Lund University in Schweden. Dort hat Charlotte Ling Insulin­-produzierende Zellen aus den Bauchspeicheldrüsen von Verstorbenen unter­sucht. Auch sie verglich dabei das Erbmaterial von Menschen mit Diabetes und Menschen, die zeitlebens keine Stoffwechselerkrankung hatten – und fand bei 99 Genen dieselben Unterschiede in der epigenetischen Signatur. „Damit hat sich unser Wunsch erfüllt, dass wir anhand von epigenetischen Hinweisen im Blut schon mehrere Jahre im Voraus einen Diabetes erkennen können“, sagt Annette Schürmann und plant schon die nächsten Schritte: „Zunächst wollen wir die fünf bis zehn aussagekräftigsten Gene auswählen und an weiteren augenscheinlich gesunden Probanden prüfen, ob sie sich zur Diagnose, beziehungsweise der Vorhersage von Diabetes eignen. Falls ja, können wir anhand dieser Marker auch die Wirksamkeit von Therapien oder Ernährungsweisen testen. Das hilft uns zu beurteilen, durch welche Maßnahmen und bei welchen Menschen sich epigenetische Veränderungen rückgängig machen lassen. Und das könnte vielleicht dazu beitragen, dass die drohende Erkrankung bei ihnen doch nicht ausbricht.“

Ist Dicksein jenseits der Genetik erblich?

DU BIST AUCH, WAS DEInE ELTERn GEGESSEn HABEn!
Vieles deutet darauf hin, dass körperliche Bewegung und Ernährung die epigenetischen Signaturen beeinflussen. „Du bist, was du isst“ muss man wohl ergänzen mit: „Du bist auch, was deine Eltern gegessen haben!“ Das legen aufwendige Studien unter Leitung von DZD-Forscher Prof. Johannes Beckers nahe, der am Helmholtz Zentrum München das Labor für Genregulation und Epigenetik leitet. Wieder wurden genetisch identische Mäuse untersucht. Einige bekamen ein besonders fettreiches Futter und wurden daraufhin dick und zuckerkrank; andere wurden normal ernährt. Aus der Verpaarung von dicken und schlanken Mäusen resultieren vier Gruppen von Nachkommen: solche mit zwei dicken oder zwei schlanken Eltern und solche mit nur einem dicken Elternteil. DZD-Vorstand Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis, der am Helmholtz Zentrum München und an der Technischen Universität München das Institut und den Lehrstuhl für Experimentelle Genetik leitet und Mitbegründer der Studie ist, erklärt: „Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass übergewichtige Mäuse ihre Fettleibigkeit durch epigenetische Mechanismen auf die Nachkommen vererben.“ Das geschehe sowohl über den väterlichen als auch über den mütterlichen Weg, so der Wissenschaftler: „Es gibt zwei verschiedene Effekte bei den Nachkommen: Sie nehmen zu und es kommt zur Stoffwechselentgleisung in Form einer Insulinresistenz. Zur Gewichtszunahme tragen übergewichtige Väter und Mütter in etwa gleich viel bei, wenn auch durch unterschiedliche Mechanismen. Bei der Insulinresistenz scheint der mütterliche Einfluss stärker zu sein.“
KÖRPERLICHE BEWEGUnG UnD ERnÄHRUnG KÖnnEn DIE EPIGEnETISCHEn SIGnATUREn BEEInFLUSSEn.
Martin Hrabě de Angelis sieht in den Studienergebnissen eine mögliche Teilerklärung, warum seit den 1960er-Jahren weltweit immer mehr Menschen an Fettleibigkeit und Diabetes leiden: „Veränderungen der Gene selbst können diesen enormen Anstieg nicht erklären. Nun haben wir eine weitere wichtige Ursache gefunden: die epigenetische Vererbung einer durch Fehlernährung erworbenen Stoffwechselstörung.“ Diese neuen Erkenntnisse stimmen den Münchner Forscher optimistisch: „Wir wissen, dass sich epigenetische Muster verändern lassen. Sie sind reversibel! Jeder Mensch kann durch eine gesunde Lebensführung sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.“
JEDER MEnSCH KAnn DURCH EInE GESUnDE LEBEnSFÜHRUnG SEIn SCHICKSAL SELBST In DIE HAnD nEHMEn.
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