SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung (DZG)

Dem Tumor auf der Spur

Professor Holger Sültmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) erforscht Bluttests, die zur Überwachung von Krebstherapien eingesetzt werden können. Diese Liquid Biopsies zeigen anhand von DNA-Fragmenten an, wie gut die Krebstherapie wirkt, und geben die Chance, diese frühzeitig anzupassen.
Im menschlichen Körper sterben täglich viele Millionen Zellen ab. Enzyme bauen Zellmembran sowie Zellskelett ab und die körpereigene Recyclingmaschinerie zerlegt alles in kleine Stücke, die mit dem Blut abtransportiert werden. Auch das Erbgut aus dem Zellkern gelangt dabei ins Blut – ein Glücksfall für Krebsforschende! Denn diese DNA verrät ihnen, wie es um einen Tumor steht. Ist er besiegt oder kehrt er zurück? Hat er metastasiert oder neue Mutationen entwickelt? Sie können die Therapie besser anpassen und die Überlebenschancen der Patientinnen und Patienten können steigen.

Die Methode, DNA in Blutproben zu lesen, wird Liquid Biopsy genannt. Sie wird derzeit nicht zur primären Diagnose einer Krebserkrankung genutzt. Dafür sind weiterhin Gewebeproben und bildgebende Verfahren notwendig, weil sie anzeigen, wo der Tumor sich befindet und wie groß er ist. Aber um zu sehen, ob eine Therapie anschlägt oder verändert werden muss – dafür eignet sich die Methode hervorragend.
IM BLUT SCHWIMMEN KEINE VOLLSTÄNDIGEN GENE, SONDERN MEIST NUR KLEINE DNA-SCHNIPSEL EINES TUMORS.
MILLILITER BLUT REICHEN FÜR EINE LIQUID BIOPSY AUS

Kleinste Mengen reichen aus

Vor rund zehn Jahren beginnen Forschende auf der ganzen Welt, sich intensiv für DNA im Blut zu interessieren. Einer von ihnen ist Professor Holger Sültmann, Biochemiker am DKTK in Heidelberg und Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum. Die Technologien zur Sequenzierung von DNA begannen sich schon damals immer mehr zu verbessern. Wo früher große Mengen Ausgangsmaterial gebraucht wurden, reichen heute winzige Proben: Aus vier Millilitern Blut, also dem Inhalt einer kleinen Spritze, lassen sich etwa zwei bis zwanzig Nanogramm DNA isolieren. Der Großteil davon stammt nicht aus Krebszellen, sondern aus normalen Körperzellen. Die Krebs-DNA macht nur wenige Prozent der gesamten DNA aus.
Um damit arbeiten zu können, muss zunächst das gesamte gefundene Erbgut im Reagenzglas vervielfältigt werden. Anschließend wird jedes einzelne Nukleotid, jeder Baustein der DNA, wiederholt zwischen 1.000- und 5.000-mal abgelesen. Diese hohe Lesezahl hilft dabei, seltene Mutationen zu finden. Ist die DNA abgelesen, geht es ans Puzzeln: Im Blut schwimmen keine vollständigen Gene, sondern meist nur kleine DNA-Schnipsel mit einer Länge von ungefähr 150 Nukleotiden. Ein Computer vergleicht diese mit einem Referenzgenom. Anschließend geht es an die Analyse.

Analyse von Mutationen und Kopienzahl

Im besten Fall findet Sültmann gar keine Tumor-DNA mehr. „Dann ist die Prognose für die Patientin oder den Patienten oftmals gut“, sagt er. Ist noch Tumor-DNA vorhanden, analysiert er über 100 krebsrelevante Gene. Wenn dort neue Mutationen vorliegen, bedeutet das häufig, dass einzelne Tumorzellen der Therapie entwischt sind und sich weiter teilen.
Ein großer Vorteil des Bluttests liegt darin, dass er weniger invasiv ist als die herkömmlichen Biopsien, für die Ärzte und Ärztinnen ein Stück des Tumorgewebes herausschneiden, damit es im Labor untersucht werden kann. Je nach Lage des Tumors kann dafür eine Operation notwendig sein. Und weil mit einer Biopsie nur ein kleiner Teil des Tumorgewebes untersucht wird, ist es unmöglich, alle seine Mutationen zu erfassen. „Gerade die Heterogenität von Tumoren lässt sich mit Bluttests besser charakterisieren als mit Gewebebiopsien“, erklärt Sültmann.
KREBSRELEVANTE GENE KÖNNEN DERZEIT MITTELS LIQUID BIOPSY ÜBERPRÜFT WERDEN
Neben den Mutationen interessieren Sültmann auch die Veränderungen in der Kopienzahl der DNA. „Man kann relativ einfach herausfinden, ob bestimmte Bereiche der DNA verdoppelt oder gelöscht worden sind“, erklärt Sültmann die Methode. In einer Studie an Lungenkrebspatientinnen und -patienten, die in enger Zusammenarbeit mit Partnern des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) erfolgte, konnte er zeigen, dass in 40 Prozent aller Blutproben keine bekannten Krebsmutationen zu finden waren. Doch die Liquid Biopsy zeigte deutliche Veränderungen in der Kopienzahl: Einige Gene waren stillgelegt oder vermehrt aktiv. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass der Tumor in der Progression ist. Häufig hat er sogar bereits Metastasen gebildet.

Liquid Biopsy spart Zeit

Der zweite Vorteil der Liquid Biopsy: Sie entdeckt Veränderungen im Tumor, bevor diese sichtbar werden. Das heißt konkret: Tage oder sogar Wochen, bevor im Computertomographie (CT)- oder Magnetresonanztomographie (MRT)-Scan auffällt, dass der Tumor sich unter der Therapie verändert, lässt sich bereits im Blut nachweisen, dass er neue Mutationen anhäuft. Jeder Tag zählt: Ausgerüstet mit diesen Informationen könnten Ärzte eine Therapie schneller anpassen.
„Wir haben bei vielen Patientinnen und Patienten mit Bronchialkarzinom gesehen, dass die Liquid Biopsy schneller eine Aussage darüber erlaubt, ob die Therapie wirkt oder nicht“, so Holger Sültmann. Was jetzt noch fehlt, ist eine klinische Studie mit mehr Probandinnen und Probanden, um die Ergebnisse zu validieren. Dann könnte die Liquid Biopsy bei dieser Krebsart zum Standardtest in der klinischen Versorgung werden. Tatsächlich sind in den USA bereits Bluttests für Lungenkrebs und Brustkrebs zugelassen. „Europa hängt da noch hinterher, aber ich bin mir sicher, dass wir auch hierzulande in den nächsten Jahren viele solcher Tests für die Überwachung von Therapien sehen werden“, sagt Sültmann.
Damit zukünftig mehr Patientinnen und Patienten von einer individualisierten Therapie profitieren können, haben sich im Jahr 2021 Liquid-Biopsy-Expertinnen und -Experten an allen DKTK-Standorten zu einem DKTK-geförderten Konsortium zusammengeschlossen: EXLIQUID. Das Konsortium baut eine Sammlung von Blutproben von Patientinnen und Patienten mit soliden Tumoren auf. Diese Biobank soll dabei helfen, Muster zu erkennen und in der Folge noch bessere Therapieempfehlungen auszusprechen.
In Zukunft könnte die Liquid Biopsy sogar als sensitiver Frühtest im Rahmen der Krebsfrüherkennung eingesetzt werden, der Tumore bereits entdeckt, wenn sie noch sehr klein sind. Dann könnten die Tumore mit größerer Wahrscheinlichkeit operativ entfernt werden – und ihre Heilungschancen wären deutlich höher.
DIE LIQUID BIOPSY ENTDECKT VERÄNDERUNGEN IM TUMOR, BEVOR DIESE SICHTBAR WERDEN: TAGE ODER SOGAR WOCHEN, BEVOR IM CT- ODER MRT-SCAN AUFFÄLLT, DASS DER TUMOR SICH VERÄNDERT.
Würden wir versuchen, einmal geschredderte Papierstreifen zu einem korrekten Ganzen zusammenzufügen, wir würden schlicht verzweifeln. Im Vergleich dazu übernimmt der Computer das Puzzeln der DNA-Schnipsel zu Genen.
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