SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Viren im Anflug

Blutsaugende Stechmücken können gefährliche Krankheitserreger übertragen – im Zuge des Klimawandels vermehrt auch in nördlichen Breiten. Intensives Monitoring und neue Methoden zur Vektorkontrolle sind gefragt.
Erst das fiese Sirren und dann ein Stich – gefolgt von quälendem Juckreiz, der mitunter tagelang anhält: Mücken können einem den schönsten Sommerabend vermiesen. Doch nicht nur das: Mit steigenden Durchschnittstemperaturen erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich in den Plagegeistern sogar hierzulande Parasiten und Viren vermehren und von infizierten Tieren oder Menschen auf andere übertragen werden. Das zoonotische West-Nil-Virus etwa, einst nur in den Tropen beheimatet, gelangte mit Zugvögeln schon bis nach Deutschland. Zwar ist es bisher nur im Raum Berlin-Brandenburg und um Leipzig verbreitet, 2019 aber wurden erstmals auch Menschen infiziert. Übertragen wird der Erreger von diversen kleinen Blutsaugern – darunter leider auch die heimische, gemeine Stechmücke Culex pipiens. Immer heißere Sommer haben zudem dazu geführt, dass sich auch die Überträger, sogenannte Vektoren, hier wohl fühlen. Die asiatische Tigermücke Aedes albopictus zum Beispiel – wichtiger Vektor des Dengue-, Zika- und Chikungunya-Virus, Culex quinquefasciatus oder die Gelbfiebermücke Aedes aegypti sind schon da.
WEST-NIL-VIRUS
Das seit 1937 bekannte West-Nil-Virus kommt sowohl in tropischen als auch in gemäßigten Gebieten vor. Es wird durch Stechmücken übertragen und infiziert hauptsächlich Vögel, aber auch Menschen, Pferde und andere Säugetiere. Die Infektion beim Menschen verläuft in circa 80 Prozent der Fälle symptomlos.

Trojanisches Pferd

Was muss eine Mücke mitbringen, um ein guter Vektor zu sein? Und was passiert, wenn bislang harmlose Mücken zu „trojanischen Pferden“ für exotische Parasiten und Viren werden? Fragen wie diesen geht die DZIF-Forscherin Professor Esther Schnettler am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg mit ihrer AG „Mücken-Virus-Interaktion“ nach. Sie arbeitet mit Kolonien von Aedes aegypti und Aedes albopictus sowie Culex quinquefasciatus und weiteren Culex-Arten aus deutschen Wildfängen.
In der Natur werden Mücken meistens zwei bis sechs Wochen alt, können theoretisch aber auch Monate leben. Die Entwicklung vom Ei bis zum ausgewachsenen Insekt dauert, je nach Spezies und Temperatur, etwa 16 Tage. „Um die Vektorkompetenz zu prüfen, übertragen wir die viralen Erreger auf bestimmte Stechmückenarten. Dazu fischen wir drei bis sieben Tage alte erwachsene Tiere mit einem Ministaubsauger aus dem Käfig und suchen die Weibchen heraus, denn nur sie saugen Blut“, erklärt die Biologin. Im Hochsicherheitslabor bekommen die „Probandinnen“ dann ihre infektiöse Blutmahlzeit. Sind ihre Bäuche vom Blut rot angeschwollen, werden sie für 14 bis 21 Tage in einen Inkubator gesetzt, der – je nach Fragestellung – auf 18, 21, 24 oder 27 Grad Celsius temperiert ist und leckere Zuckerlösung bereithält. „Anschließend untersuchen wir Körper und Speichel, um herauszufinden, wie viele Mücken sich infiziert haben und ob sie auch in der Lage sind, den Erreger über ihren Speichel weiterzugeben.“

Vektorkompetenz

Die Vektorkompetenz lässt sich aus dem Verhältnis von Infizierten zu Nicht-Infizierten errechnen. Zusammen mit der Abteilung Arbovirologie und Entomologie fanden sie unter anderem heraus, dass keine einzige mitteleuropäische Culex-Art in der Lage ist, das Zika-Virus zu übertragen. Im Gegensatz dazu war jedoch der Speichel aller Aedes-Arten infektiös. Der von Aedes albopictus, die als blinde Passagiere mit Touristen und dem Frachtverkehr regelmäßig aus Südeuropa einreisen, allerdings erst bei 27 Grad.
Mücken werden vom Kohlendioxid in der Atemluft des Menschen angezogen. Dass manch einer extrem häufig gestochen wird, kann an seinem individuellen Duft liegen – und sich im Laufe des Lebens wieder ändern, da die Hormonzusammensetzung den Körpergeruch beeinflusst. „Abhängig von der Spezies haben Mücken bestimmte Duftvorlieben. Was auch Sinn macht, denn manche Arten ziehen ja Vögel dem Menschen vor“, so Schnettler. Was lässt sich tun, um die Verbreitung von invasiven Mückenarten und ihren infektiösen „Untermietern“ einzuschränken? Ein Monitoring entlang der Fernstraßen vom Süden in den Norden gibt es bereits. Auf Raststätten und Parkplätzen sind Wasserbehälter mit einem mücken-spezifischen Toxin aufgestellt, um die Mücken anzulocken, abzutöten und auszählen zu können. Die Brutstätten der Insekten finden sich in Seen, Pfützen und Regentonnen in Gärten: Diese Orte einer vollständigen Vektorkontrolle zu unterziehen, indem sie mit Insektiziden besprüht werden, ist weder möglich noch erstrebenswert, denn Stechmücken sind wichtiger Bestandteil der Speisepläne von Vögeln und Fledertieren. Die eine Methode wird es also nicht geben, meint Esther Schnettler. „Ein Impfstoff ist klar die beste Wahl, wenn ein Erreger nur auf den Menschen übertragen wird. Sind auch andere Spezies betroffen, wie bei den zoonotischen Viren, wird das sehr kompliziert.“ Wird ein Virus dagegen gleich von mehreren Mückenarten übertragen, ist ein Vakzin schon wieder eine gute Option, denn die Vektorkontrolle ist in diesem Fall schwierig.
Mückenforschung im Insektarium des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin: Um weibliche von männlichen Mücken zu trennen, werden die Tiere mit Kohlenstoffdioxid-Gas betäubt und anschließend unter dem Binokular sortiert.
Die Verbreitung von Infektionen mit dem West-Nil-Virus und anderen gefährlichen Viren wird über viele Jahre hinweg beobachtet: geografische Verbreitung gemeldeter West-Nil-Virus-Infektionen im Menschen in den Jahren 2023, 2022, und 2013–2020.
Für Esther Schnettler sind Stechmücken hochinteressante Forschungsobjekte, über die man gerade in Zeiten des Klimawandels möglichst viel wissen sollte.
IM GLOBALEN SÜDEN STELLEN SICH GANZ ANDERE PROBLEME: EIN MALARIA-IMPFSTOFF IST NOCH NICHT GEFUNDEN UND RESISTENZEN GEGEN INSEKTIZIDE, MIT DENEN MOSKITONETZE BEHANDELT SIND, NEHMEN ZU.
Schnettlers Team sucht Wege, die Mücke nicht zu töten, sondern ihr Immunsystem durch andere Mikroben so aufzustacheln, dass sie die Erreger nicht mehr so effizient übertragen kann. Der Mückenspeichel und das „Probing“ – erste feine Stiche des Insekts, um ein Blutgefäß in der Haut seines Opfers zu finden – scheinen die Erreger noch infektiöser zu machen. „Offenbar werden dadurch Immunzellen angelockt, die von den Viren gekapert werden und ihnen erlauben, sich schneller im Körper zu verteilen.“ Der Gedanke, den Stich sofort gezielt zu behandeln, um das zu verhindern, ist also naheliegend.
CHIKUNGUNYA-VIRUS
Chikungunya wird von Stechmücken in Afrika, Asien und Amerika auf den Menschen übertragen. Zu den Reservoirwirten des Virus gehören Affen und Nagetiere. Da die Krankheit ähnliche Symptome wie Dengue und Zika verursacht, wird sie oft falsch diagnostiziert. Derzeit gibt es weder einen zugelassenen Impfstoff noch eine spezifische Behandlung für die Erkrankung.
DENGUE-VIRUS
Viele der schätzungsweise 100 bis 400 Millionen Infektionen pro Jahr weltweit verlaufen asymptomatisch oder rufen nur leichte Erkrankungen hervor. Das durch die Weibchen der Gelbfiebermücke oder Asiatischen Tigermücke übertragene Virus, das in tropischen und subtropischen Klimazonen verbreitet ist, kann aber auch schwerere Fälle und sogar den Tod verursachen.
MALARIA
Die von einzelligen Parasiten der Gattung Plasmodium hervorgerufene Krankheit Malaria wird heutzutage hauptsächlich in den Tropen und Subtropen durch den Stich einer weiblichen Stechmücke der Gattung Anopheles übertragen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist von Malaria bedroht. 2021 erkrankten weltweit schätzungsweise 247 Millionen Menschen, 600.000 starben – über 95 Prozent davon in Afrika, ein Großteil Kinder unter fünf Jahren.
ZIKA-VIRUS
Das Zika-Virus wird mit dem Guillain-Barré-Syndrom, Neuropathie und Myelitis, mit Früh- und Fehlgeburten sowie Fehlbildungen wie Mikrozephalie bei Neugeborenen in Zusammenhang gebracht. Die meisten Infizierten bleiben aber symptomlos. Ursprünglich aus dem tropischen Afrika stammend, kommt das hauptsächlich durch Aedes-Mücken übertragene Virus heute in der gesamten tropischen Klimazone und aufgrund Verschleppung durch Reisende auch in anderen Klimazonen wie Europa vor.

Insektizidresistenzen

Während man sich in Europa Sorgen über die Ausbreitung von tropischen Mücken und Erregern macht, stellen sich im globalen Süden, wo die Malaria, ausgelöst durch den Mückenparasiten Plasmodium falciparum, ständiger Begleiter der Menschen ist, ganz andere Probleme: Ein effektiver Impfstoff ist noch nicht gefunden und die wichtigsten Überträger der Plasmodien entwickeln zunehmend Resistenzen gegen Pyrethroid-Insektizide, mit denen Moskitonetze behandelt sind. Die Wirkstoffe zielen auf das Nervengewebe und töten die Mücken schnell durch Lähmung – zumindest sollen sie das tun.
Bereits zum zweiten Mal erhielt Dr. Victoria Ingham, Leiterin der Nachwuchsgruppe „Translationale Malaria-Forschung“ am Universitätsklinikum Heidelberg, umfangreiche Forschungsgelder. Diesmal 1,5 Millionen Euro vom Europäischen Forschungsrat, um die Auswirkungen alter und neuer Insektizide auf die Vektorkompetenz Malaria-relevanter Mücken zu untersuchen. Dazu setzt sie sowohl molekularbiologische als auch bioinformatische Methoden ein. Ingham geht davon aus, dass die zunehmende Resistenz auch daher rührt, dass die Mücken bereits während ihres Entwicklungszyklus mehrfach mit Insektiziden in Berührung kommen. „Bei der Analyse Hunderter Transkriptome resistenter und nicht-resistenter afrikanischer Anopheles-Populationen – also der Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in diesen Populationen exprimierter und in RNA umgeschriebener Gene – entdeckten wir zudem hochregulierte Gene, die offenbar an bisher unbekannten Resistenzmechanismen beteiligt sind.“ So bilden resistente Anopheles-gambiae-Stämme etwa ein sensorisches Anhängselprotein (SAP2), das an den Beinen der Mücke sitzt und sie schützt. Blockiert man dieses Protein mit kleinen Molekülen, kann man die Mücken wieder sensibler gegen Insektizide machen. In Form einer App will Ingham die relevanten Transkriptom-Daten nun Forscherinnen und Forschern zur Verfügung stellen, um Resistenzen entgegenzuwirken.

Reales Risiko

Es ist noch nicht lange her, da war auch der Mittelmeerraum Malariagebiet. Dass Italien in den 1970er-Jahren von der WHO für malariafrei erklärt werden konnte, ist größtenteils auf die Trockenlegung von Sümpfen, massives Versprühen des Insektizids DDT und die Verteilung von Medikamenten zurückzuführen. „Ich halte es deshalb für unwahrscheinlich, dass Malaria durch den Klimawandel zurückkehren wird“, sagt Victoria Ingham. „Aber durch die Ausbreitung der Aedes-Mücken werden Viren wie Dengue oder Chikungunya ein sehr reales Risiko.“
VORKOMMEN DER ASIATISCHEN TIGERMÜCKE IN DEUTSCHLAND
etablierte Populationen
neue Populationen
eliminierte Populationen
ES IST UNWAHRSCHEINLICH, DASS MALARIA ZURÜCKKEHRT, ABER DURCH DIE AUSBREITUNG DER AEDES-MÜCKEN WERDEN DENGUE ODER CHIKUNGUNYA EIN SEHR REALES RISIKO.
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