Dass Blutzellen genetisch verändert sein können, ohne offensichtlich krank zu machen – auf dieses Phänomen stießen zunächst Hämatologen, die Spezialisten für Blutkrankheiten. Eine Gruppe um Benjamin L. Ebert aus Boston ging 2014 der Frage nach, ob sich bereits im Blut gesunder Menschen Vorstufen von Leukämien finden lassen. Eine Leukämie entsteht, wenn Blutstammzellen im Knochenmark eine ungünstige Kombination von Mutationen tragen. Sie bilden dann unreife oder defekte weiße Blutkörperchen, die einen Überlebens- und Wachstumsvorteil haben und den Körper überschwemmen.
Ebert und sein Team suchten in den Blutzellen von 17.000 gesunden Menschen nach Mutationen und verfolgten über Jahre, wer von ihnen an Leukämie erkrankte. Tatsächlich fanden die Forschenden zu Beginn der Studie bei etwa 10 Prozent der älteren Probandinnen und Probanden messbare Mengen von weißen Blutkörperchen mit Mutationen in einzelnen Leukämie-Genen. Unerwarteterweise erhöhten diese Gene das Erkrankungsrisiko aber nur geringfügig: Weniger als ein Prozent dieser Personen bekam später eine Leukämie. Zu wenig, um die Veränderungen als Biomarker für die Früherkennung nutzen zu können.
Mutationen mit Potenzial
Auffällig war, dass die Menschen mit den Genveränderungen im Blut trotzdem früher starben – vor allem an Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzklappenerkrankungen. Das rief sofort die Herz-Kreislauf-Forscher auf den Plan: „Wir waren wie elektrisiert: Hier schien sich ein messbarer Risikofaktor herauszukristallisieren, der einen stärkeren Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse hatte als klassische Faktoren wie Rauchen oder Bluthochdruck“, sagt Professor Andreas Zeiher vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung. Der Zusammenhang zwischen den Mutationen und der schlechten Prognose war eindeutig – warum er bestand, war zunächst ein Rätsel.
DIE MUTATIONEN WERDEN IM LAUFE DES LEBENS ERWORBEN UND NEHMEN MIT DEM ALTER ZU.
Inzwischen hatten die Hämatologinnen und Hämatologen den von ihnen gefundenen Mutationen einen Namen gegeben, der sich später als nicht besonders treffend erweisen sollte. Da die Genveränderungen für die hämatologischen Erkrankungen wenig entscheidend zu sein schienen, nannten die Hämatologinnen und Hämatologen sie „klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial“, im Englischen „clonal hematopoiesis of indeterminate potential“ – abgekürzt CHIP. Der Name hat sich durchgesetzt, obwohl man heute weiß, dass sie durchaus das Potenzial haben, Herz, Gefäße und andere Organe zu schädigen.
Schnell kamen weitere Erkenntnisse hinzu: CHIP ist streng altersabhängig, bei Menschen unter 40 Jahren ist es kaum nachweisbar, von den über 80-Jährigen hat es jeder Zweite. Auch die Menge der CHIP-Zellen beeinflusst die Prognose: Bereits bei wenigen Prozent weißer Blutzellen mit CHIP treten schädliche Herz-Kreislauf-Effekte auf; je mehr solcher Zellen im Blut schwimmen, desto ungünstiger. Und von den ursprünglich 57 Genen haben sich mit DNMT3A, TET2 und ASXL1 drei herauskristallisiert, die besonders häufig betroffen sind. Auch andere altersabhängige Erkrankungen wie Diabetes, COPD oder Nierenerkrankungen sind mit CHIP assoziiert.