SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Von der extrakorporalen Atmung zur künstlichen Lunge

Von der Abkürzung ECMO haben die meisten Menschen erstmals während der COVID-19-Pandemie gehört. Sie steht für eine extrakorporale Versorgung des Blutes mit Sauerstoff. Im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) wird daran gearbeitet, ihre Erfolgsaussichten zu verbessern – und nach ihrem Vorbild eine implantierbare Kunstlunge zu entwickeln.
Patientinnen und Patienten wurden während der Corona-Pandemie weltweit mit einer ECMO behandelt (Stand: 5.9.2022)
Als Dr. Benjamin Seeliger im Winter 2017/18 seine Arbeit als Assistenzarzt auf der internistischen Intensivstation der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) aufnahm, lief gerade eine ungewöhnlich starke Grippewelle durch Deutschland. Sie kostete mehr als 25.000 Menschen das Leben. Alle 14 Betten der Station waren damals mit Patientinnen und Patienten belegt, die auf eine extrakorporale Membranoxygenierung angewiesen waren, kurz „ECMO“ genannt. Ihr Blut wurde dabei außerhalb ihres Körpers von Kohlendioxid befreit und mit Sauerstoff versorgt, weil ihre Lunge dazu nicht mehr in der Lage war.

Das Team der internistischen Intensivstation, zu dem Seeliger gehört, hat seitdem mehrere Hundert Menschen mit akutem Lungenversagen mithilfe einer ECMO behandelt – die meisten von ihnen während der Coronapandemie. Für viele von ihnen war es die Rettung vor dem Tod. Besonders eindrücklich sind Seeliger die vielen jungen Frauen im Gedächtnis geblieben, die noch nicht geimpft werden konnten oder aufgrund einer Schwangerschaft zurückhaltend waren, und deren Leben während der Delta-Welle im Sommer 2021 von dem Lungenersatz außerhalb ihres Körpers abhing. „Manche von ihnen haben ihr Kind verloren, sind selbst aber durch die ECMO definitiv gerettet worden.“
WAS IM OXYGENATOR GESCHIEHT, ÄHNELT ALSO DER ATMUNG IN EINER GESUNDEN LUNGE.

Kunststoff und Blut vertragen sich nicht

Diese Rettung kam aus einem würfelförmigen Kunststoffkasten, der eine Kantenlänge von etwa zehn Zentimetern hat: dem Oxygenator – Herzstück jeder ECMO. Eine Pumpe treibt pro Minute vier bis sechs Liter des Blutes der Patientin oder des Patienten durch ihn hindurch. Aus einem Schlauch in der großen Oberschenkelvene kommt sauerstoffarmes Blut heraus – und sauerstoffreiches fließt durch die große Halsvene zurück. Im Oxygenator wird das Blut an dünnen Hohlfasern vorbeigepresst, durch die Luft strömt. Die Wand der Fasern besteht aus einer Membran, durch die das Blut der Patientinnen und Patienten Kohlendioxid abgibt und Sauerstoff aufnimmt. Damit kein Plasma in den Luftraum übertreten kann, ist die blutzugewandte Seite der Faser mit einem Kunststoff beschichtet. Was im Oxygenator geschieht, ähnelt also der Atmung in einer gesunden Lunge. Mit dem Unterschied, dass der Gasaustausch beim Erwachsenen in 300 Millionen Lungenbläschen bei normalem Druck und natürlicher Luft auf der Fläche eines halben Tennisplatzes stattfindet, im Oxygenator aber bei oft sehr hohem Druck und mit reinem Sauerstoff auf nur rund zwei Quadratmetern.
Schwerer noch wiegt, dass die Kapillaren der Lunge natürlich nicht mit Kunststoff ausgekleidet sind, sondern mit Endothelzellen, die neben vielen anderen Aufgaben dafür sorgen, dass das Blut nicht gerinnt und verklumpt. Bei einer ECMO ist es dagegen nur eine Frage der Zeit, bis der Kontakt mit dem Kunststoff das Blut gerinnen und den Oxygenator verstopfen lässt. Dann muss er ausgetauscht werden. Die Beschichtung des Kunststoffs mit Gerinnungshemmern soll diese nicht ungefährliche Prozedur möglichst lange hinauszögern. Das wiederum birgt die Gefahr schwerer Blutungen in sich. Weil eine Coronainfektion mit einer Entzündung der Gefäße einhergeht, ist diese Gefahr für COVID-19-Patientinnen und -Patienten besonders hoch. Ihr Risiko, an der ECMO eine Gehirnblutung zu erleiden, ist sechsmal so hoch wie bei Grippepatientinnen und -patienten, hat Seeliger als Erstautor einer retrospektiven Studie ermittelt: „90 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine Gehirnblutung entwickeln, sind letztlich verstorben.“

WIE BRINGT DIE ECMO SAUERSTOFF INS BLUT?

Unqualifizierter Einsatz kann gefährlich sein

Nicht jeder Mensch, dessen Lunge versagt, kann also durch eine extrakorporale Beatmung gerettet werden – ganz im Gegenteil, wie Benjamin Seeliger betont. Zumal die Lunge mancher COVID-19-Patientinnen und -Patienten so massiv geschädigt ist, dass sie monatelang an der Kunstlunge hängen. Das erhöht das Risiko, an einer Sepsis zu versterben, die durch Krankenhauskeime ausgelöst wird. Oder es kann zum Ausfall anderer lebenswichtiger Organe führen. Besonders für ältere Menschen mit Vorerkrankungen ist die ECMO deshalb ein hochriskantes Verfahren. „Sie in Bauchlage zu wenden, ihre Muskulatur medikamentös zu entspannen und die Lunge schonend zu beatmen, sind Maßnahmen, die das Überleben solcher Risikopatientinnen und -patienten oft wahrscheinlicher machen als der sofortige Anschluss an eine ECMO.“ Nur in einem zertifizierten Zentrum mit ausreichender Routine und Expertise dürften solche Patientinnen und Patienten bei akutem Sauerstoffmangel frühzeitig an eine ECMO angeschlossen werden. Davon gibt es in Deutschland aber nicht einmal zwei Dutzend. Während der Coronapandemie hätten jedoch viele Kliniken mit wenig Erfahrung allzu häufig Gebrauch von der ECMO gemacht, ohne das „Einmaleins der Therapieleitlinien“ angemessen zu berücksichtigen. Außerdem sei die ECMO auch bei sehr alten, schwer vorerkrankten Menschen eingesetzt worden, die keine realistische Chance auf Erholung vom Intensivaufenthalt hatten. Die Folge davon: Zwischen März 2020 und Mai 2021 verstarben in deutschen Krankenhäusern 68 Prozent der COVID-19-Patientinnen und -Patienten, die mit einer ECMO behandelt wurden. Das ist eine im europäischen Vergleich erschreckend hohe Krankenhaussterblichkeit. Europaweit lag sie bei 52 Prozent.
Rund
ECMO-Plätze stehen in Deutschland zur Verfügung – aber beim Einsatz der extrakorporalen Beatmung ist Vorsicht geboten
ZIEL WAR ES, EINEN DICHTEN, GESCHLOSSENEN ZELLRASEN ANZULEGEN, DER FLUSSRESISTENT IST.

Ein Endothel für die Maschine

Ärztinnen und Ärzte des Deutschen Zentrums für Lungenforschung sind intensiv daran beteiligt, die Kriterien dafür zu schärfen, wann eine ECMO Erfolg versprechend ist, damit künftig mehr Menschen dieses hochinvasive Verfahren überleben. Eine vielversprechende Strategie, um die mit einer ECMO-Behandlung verbundenen Risiken zu senken, ist die Weiterentwicklung des Oxygenators zu einer implantierbaren künstlichen Lunge. Diese Strategie verfolgen Dr. Bettina Wiegmann und ihr Forschungsteam an der MHH mit viel Beharrlichkeit.
Im Kern geht es Wiegmann darum, die Hohlfasern und das Innengehäuse des Oxygenators mit einer durchgängigen Schicht lebender Endothelzellen zu überziehen: „Zuerst haben wir gezeigt, dass eine Besiedlung des Kunststoffs möglich ist, obwohl er wasserabweisend ist.“ Nachdem dies durch Einfügen geeigneter Zwischenschichten auf Kunststofffolien gelungen war, galt es, dieses Modell aus der Fläche in den Raum zu übertragen. Ziel war es, einen dichten, geschlossenen Zellrasen anzulegen, der flussresistent ist. „Es nützt ja nichts, wenn die Zellen abschwimmen, sobald Blut an ihnen vorbeigepumpt wird“, so Wiegmann. Die Zellschicht darf aber auch nicht so dick sein, dass sie den Gasaustausch behindert. Gleichzeitig muss das in den Oxygenator versetzte Endothel dort dieselben Bau- und Botenstoffe bilden und abgeben wie im Körper, damit es sich stabil auf dem Kunststoff verankert und sowohl eine Gerinnung des Blutes als auch eine Aktivierung des Immunsystems verhindert.
ECMO-Anwendungen pro Jahr sollte eine Intensivstation mindestens nachweisen, um als qualifiziertes Zentrum zu gelten.

Nabelschnurzellen für das Biohybridorgan

Schritt für Schritt haben Bettina Wiegmann und ihr Team im vergangenen Jahrzehnt diese und weitere Probleme gelöst und daraus einen im Laborversuch praktikablen Gesamtansatz für eine Biohybridlunge geschaffen. Sie wissen, dass sie rein rechnerisch ungefähr 160.000 Endothelzellen brauchen, um einen Quadratzentimeter Kunststoff zu beschichten. Das entspricht in etwa zwei Milliarden Zellen für eine Kunstlunge. „Aus den Patientinnen und Patienten selbst könnten wir so viele Zellen nicht in ausreichender Qualität gewinnen, doch Nabelschnurblut ist hierfür eine mögliche Quelle“, sagt Bettina Wiegmann. „Diese körperfremden Endothelzellen verändern wir dann gentechnisch derart, dass sie vom Immunsystem nicht als fremd erkannt werden.“
Sie wissen, um welche Achsen sich eine Kunstlunge während der Herstellung wie lange drehen muss, um überall gleichmäßig endothelialisiert zu werden. Und sie wissen, welches Nährmedium die fertigen Kunstlungen brauchen, während sie auf ihren Einsatz warten – sei es für eine ECMO oder als Alternative zur Transplantation einer echten Lunge. Die Herausforderung besteht nun darin, dieses Wissen in einen Prototyp zu überführen, der zunächst in Tierversuchen und dann im klinischen Einsatz erprobt werden kann: „Wenn uns nicht zu viele regulatorische Hürden in den Weg gestellt werden, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir in etwa zehn Jahren die ersten Biohybridlungen einsetzen können.“
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