SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Neue Therapiekonzepte für Typ-1-Diabetes zielen darauf ab, die körpereigene Insulinproduktion wiederherzustellen. Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung arbeiten daran, tierische Gewebe oder Stammzellen als Quelle für Transplantate zu nutzen — und an regenerativen Verfahren, Welche stille Reserven im Körper der Patienten wecken sollen.

Bioreaktor, Zellersatz oder Regeneration?

Diabetes Typ 1 beruht auf einem Angriff von innen: Fehlgeleitete Immunzellen vernichten gezielt die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die das lebenswichtige Hormon Insulin herstellen. Dieser fortschreitende Prozess schwächt die körpereigene Insulinproduktion, bis sie gänzlich versiegt. Per Spritze oder Pumpe können die Betroffenen ihrem Körper Insulin zuführen. „Durch ständig weiterentwickelte Pumpen- und Sensorsysteme bietet diese Therapie einer wachsenden Zahl von Patienten die Möglichkeit, ihren gestörten Blutzuckerspiegel immer besser zu regulieren.

Doch das natürliche Organ wird damit nicht ersetzt und so kann das immer nur eine Lösung für einen Teil der Patienten sein", sagt Professor Dr. Barbara Ludwig. Die Ärztin sucht zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Paul Langerhans Institut Dresden (PLID), einem von fünf Partnerstandorten des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), nach neuartigen Behandlungsformen. Dabei soll Insulin nicht mehr von außen zugeführt, sondern wieder direkt im Körper gebildet werden.
In dem Bioreaktor sind die Inselzellen vor Abstoßungsreaktionen des Immunsystems geschützt.
Durch eine Membran gelangen Nährstoffe und Glucose hinein sowie Insulin und Glukagon hinaus.

Bauchspeicheldrüsen transplantieren

Das lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen. Einer davon ist die Transplantation einer funktionsfähigen Bauchspeicheldrüse: Die Betroffenen erhalten von einem Spender das komplette Organ, meist zusammen mit einer neuen Niere. Eine Studie an mehr als 12.000 Typ-1-Diabetes-Erkrankten belegt die Wirksamkeit dieser Therapie: Von den Personen, die vergeblich auf Spenderorgane gehofft hatten, war nach einer vierjährigen Wartezeit jede zweite verstorben; von den erfolgreich Transplantierten dagegen nur eine von zehn.

In Deutschland erhalten durch diese Operation jedes Jahr etwa hundert Menschen eine neue Bauchspeicheldrüse. „Einem Typ-1-Diabetiker mit einem drohenden oder bereits bestehenden Nierenversagen kann sie das Leben retten", betont Barbara Ludwig: „Allerdings ist dieser Eingriff mit einem sehr hohen Risiko für Komplikationen behaftet und kommt deshalb für ältere Patienten und Menschen mit zusätzlichen Erkrankungen nicht infrage."
EINEM TYP-1-DIABETIKER MIT EINEM DROHENDEN ODER BEREITS BESTEHENDEN NIERENVERSAGEN KANN DIE TRANSPLANTATION DER BAUCHSPEICHELDRÜSE DAS LEBEN RETTEN.
Deutlich weniger belastend ist es, statt des kompletten Organs nur die hormonproduzierenden Inselzellen zu transplantieren. Doch auch diese Option steht durch die in Deutschland vergleichsweise geringe Zahl an Organspendern und bürokratische Hürden bei der Gewinnung von Inselzellen nur wenigen offen. Zudem sind die Patienten, die dann wie bei jeder Transplantation zeitlebens Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems einnehmen müssen, anfällig für Infektionen.

Bei einem künstlichen Organ namens „BetaAir", einer Art Bioreaktor, kann auf die Mittel verzichtet werden: Es enthält gesunde Inselzellen, die selbstständig den Blutzuckerspiegel messen und passgenau Insulin produzieren. Die Zellen sind von einer speziellen Teflon-Membran umgeben, die zwar Hormone, Nährstoffe und Sauerstoff ungehindert passieren lässt, nicht aber die körpereigenen Immunzellen.

Das künstliche Mini-Organ wurde von einem Team um PLID-Forscher Professor Dr. Stefan Bornstein am Dresdner Uniklinikum zusammen mit dem israelischen Biotech-Unternehmen Beta-O2 Technologies Ltd. entwickelt und hat sich bereits bewährt: Nach jahrelangen Vorversuchen an Mäusen, Ratten und Schweinen wurde es einem 63-jährigen Mann transplantiert, der seit seinem neunten Lebensjahr unter Typ-1-Diabetes leidet.

Die handtellergroße Kapsel war direkt unter seine Bauchdecke gepflanzt und über einen Port mit Sauerstoff versorgt worden. Zehn Monate lang arbeiteten die Spenderzellen wie gewünscht: Der Mann musste weniger Insulin spritzen, sein Blutzuckerspiegel war stabil und sein Immunsystem rebellierte nicht. Am Dresdner Klinikum und am Londoner King´s College wird „BetaAir" derzeit im Rahmen einer klinischen Studie an weiteren Patientinnen und Patienten getestet.

Künstliches Pankreas

In diesem Prototyp einer künstlichen Bauchspeicheldrüse stammten die verkapselten Inselzellen aus menschlichen Spenderorganen. Weil diese aber nur sehr begrenzt verfügbar sind, suchen die DZD-Forschenden nach Alternativen. Zwei Quellen bieten sich an: Man kann funktionsfähige Inselzellen aus den Bauspeicheldrüsen von Schweinen isolieren oder sie in der Kulturschale aus menschlichen Stammzellen heranreifen lassen. Barbara Ludwig setzt auf Schweine. Abgeschirmt durch die Membran, könnten die Schweinezellen im Bioreaktor Insulin liefern, ohne das Immunsystem der Betroffenen zu reizen. Der Nachschub an Zellen wäre gesichert, weil die Tiere für die Fleischgewinnung gehalten und geschlachtet werden. „Falls sich dieser Ansatz in der Praxis bewähren sollte, wären wir nicht mehr auf die raren Organspenden angewiesen", betont Barbara Ludwig.

Die Bauchspeicheldrüse
Betazellen sind die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die das blutzuckersenkende Hormon Insulin produzieren und ins Blut ausschütten. Sie befinden sich in kleinen Zellhaufen, die wie Inseln im Gewebe der Bauchspeicheldrüse verteilt sind. Diese werden nach ihrem Erstbeschreiber als Langerhans-Inseln bezeichnet.
Die Xenotransplantation – so nennt man die Übertragung tierischer Gewebe – unterliegt strengen Sicherheitsauflagen, um das Risiko der Übertragung neuer Krankheitserreger einzudämmen. Auf diesem schwierigen Weg hat das PLID-Team nun einen Meilenstein erreicht: „Wir konnten in zwei Studien sowohl die Sicherheit als auch die Funktionsfähigkeit der aus Schweinen gewonnenen Inselzellen belegen.
IM TIERMODELL KONNTEN BEREITS INSELZELLEN VON
SCHWEINEN TRANSPLANTIERT WERDEN,
OHNE DASS ES ZU EINER ABSTOSSUNGSREAKTION
DES SPENDERORGANS KOMMT.
Sie sorgten in der implantierten Kapsel für eine ausreichende Glucose-regulierte Abgabe von Insulin in den Körper diabetischer Rhesus-Makaken", betont Barbara Ludwig. Die Studien waren so erfolgreich, dass die neue Technik bald an ausgewählten Typ-1-Diabetikern erprobt werden soll. „Das wäre dann europaweit die erste Xenotransplantation", so Ludwig.

An einem weiteren Ansatz für Xenotransplantationen arbeitet Prof. Dr. Eckhard Wolf von der LMU München. Ihm und seinem Team ist es gelungen, Schweine genetisch so zu verändern, dass die Inselzellen das Immunsystem lokal hemmen. Eine andere Quelle für Betazellen will Professor Dr. Heiko Lickert, Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung am Helmholtz Zentrum München, erschließen. „In der Kulturschale bringen wir menschliche Stammzellen schon dazu, sich in Betazellen zu verwandeln.

Zusammen mit Frau Ludwig arbeiten wir daran, sie in den Bioreaktor zu integrieren", so Lickert. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Materialien, die die lebenden Zellen einbetten und umhüllen: Sie sollen das natürliche Mikroklima in der Bauchspeicheldrüse möglichst gut nachbilden, um einen uneingeschränkten Austausch von Biomolekülen zu gewährleisten. Am Dresdener Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung werden derzeit verschiedene Hydrogele und Alginate auf ihre Eignung und Bioverträglichkeit getestet.

Parallel zur Forschung an Stammzellen will Lickerts Team die Regenerationsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse von Zuckerkranken mobilisieren und sie zur Neubildung leistungsfähiger Betazellen anregen. Bei vielen Diabetes-Patienten sind noch nicht sämtliche Zellen zugrunde gegangen, sondern haben nur ihre Fähigkeit zur Insulinproduktion eingebüßt. „Diese Zellen stehen als Folge der Diabetes-Erkrankung permanent unter Stress. Wenn wir erreichen wollen, dass sie sich regenerieren, müssen wir also den Stress abstellen", erklärt Heiko Lickert.

Genau das ist dem Wissenschaftler mithilfe einer neuen Wirkstoffkombination gelungen. Sie besteht aus dem Hormon Östrogen, welches einen stressmindernden Einfluss auf die Betazellen ausübt. Damit es ausschließlich dorthin gelangt – und nicht etwa andernorts unerwünschte Nebenwirkungen entfaltet –, wird es an ein Eiweiß namens GLP-1 gekoppelt, das gezielt von Betazellen erkannt und gebunden wird.

Das Kombinationspräparat zeigte in zuckerkranken Mäusen Wirkung: Der gestörte Glucosestoffwechsel der behandelten Tiere normalisierte sich, und ein Teil der geschädigten Betazellen nahm ihre Insulinproduktion wieder auf. Ähnliche Wirkungen zeigten sich auch in kultivierten menschlichen Inselzellen. „Damit haben wir erstmals eine Regeneration von Betazellen durch Pharmazeutika gezeigt", so Lickert.

„Es wird wahrscheinlich niemals nur eine Therapie für alle Diabetes-Erkrankte geben", sagt Barbara Ludwig und betont: „Es ist wichtig, viele verschiedene Optionen zu verfolgen. So können wir dem Patienten die für ihn optimale Behandlung anbieten."
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