SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG
Eine Therapie für die Hepatitis-D-Virusinfektion war nicht in Sicht – bis Stephan Urban und sein Team aufklärten, über welchen Mechanismus das tückische Virus in die Leberzelle eintritt. Was vor Jahren mit der Entdeckung eines Peptids in Peking-Enten begann, wurde zu einer Erfolgsgeschichte in der Hepatitis-Forschung. Die Wissenschaftler fanden einen hochpotenten Wirkstoff, der sowohl Hepatitis D als auch Hepatitis B abwehren kann.

Peking-Ente, investigativ

Nicht gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen. Seit der Antike kennt man die Leberentzündung, die sogenannte Hepatitis, die oft von Viren ausgelöst wird und häufig chronisch verläuft. Hepatitis B und D sind jedoch noch immer nicht heilbar. „Das für Hepatitis B verantwortliche Virus wurde erst 1968 entdeckt. Tatsächlich leben wir und auch viele Tierarten aber schon Millionen Jahre damit", erzählt Stephan Urban, DZIF-Professor für Translationale Virologie an der Universität Heidelberg.
TATSÄCHLICH LEBEN
VIELE TIERARTEN SCHON
MILLIONEN JAHRE MIT
HEPATITIS-B-VIREN.
Übertragen werden Hepatitis-B-Viren (HBV) durch Geschlechtsverkehr, Drogenkonsum mit verunreinigten Spritzen oder während der Geburt. Über die Zeit hat sich das Virus mit seinem Wirt bestens arrangiert und so bemerken viele ihre Infektion zunächst nicht einmal. Doch über Jahrzehnte kann eine Leberzirrhose entstehen, die das Organ allmählich zerstört oder sogar Leberkrebs verursacht.

„Zwei Milliarden Menschen haben sich im Laufe ihres Lebens mit HBV infiziert. Bei circa 300 Millionen von ihnen wurde die Krankheit chronisch. Etwa 25 Millionen sind zusätzlich mit dem Hepatitis-D-Virus (HDV) infiziert – und sie alle werden das Virus nicht mehr los." Zwar gibt es seit den 1980er-Jahren einen Impfstoff gegen Hepatitis B – doch bereits Infizierten nützt er nichts.

Eine heilende Behandlung für Hepatitis D und B fehlt bis heute. HBV und HDV sind beides umhüllte Viren, unterscheiden sich aber in ihrem Erbgut: HBV hat eine DNA, HDV eine RNA. „Um sich vermehren zu können, klaut HDV sich in der Leberzelle die Hülle eines B-Virus", erklärt Stephan Urban. Hepatitis-D-Patienten sind zwangsläufig also immer auch mit HBV koinfiziert.

„Schlüssel" zur Leberzelle entdeckt

Als Stephan Urban vor 25 Jahren mit seiner Forschung begann, wusste noch niemand, wie das Virus gezielt und ausschließlich in die menschliche Leberzelle, die Hepatozyte, gelangt. „Damals hatte man gerade bei Peking-Enten ein eigenes Hepatitis-B-Virus entdeckt, welches wir anstelle des humanen untersuchen konnten." Denn menschliche Leberzellen aus Teilresektionen waren rar. An der Uni Heidelberg wurden daraufhin Peking-Enten gezüchtet. „Wir haben deren Leber entnommen, die Hepatozyten kultiviert, mit dem Virus infiziert und dann untersucht, welcher Teil der Virushülle für den Eintritt notwendig ist."

Das Andocken des Virus ist der initiale Schritt der Infektion. Als „Schlüssel" zur Leberzelle entpuppte sich eine Sequenz in der Virushülle, – die an den Rezeptor auf der Leberzelle bindet. „Wir haben Teile dieser Sequenz als Peptid im Labor hergestellt, dann auf nicht infizierte Leberzellen gegeben und geschaut, ob wir so verhindern können, dass das Virus eindringt. Und das hat funktioniert", erzählt Stephan Urban. Sogar beim lebenden Tier: „Injizierten wir das Peptid der Ente, bevor wir sie infizierten, konnten wir sie schützen." Wie ein abgebrochener Schlüssel blockierte das Bruchstück das Schloss.

Und wieder funktionierte es!

Stephan Urban stellte nun die passenden Peptidstücke des menschlichen HB-Virus her und machte zusammen mit einem französischen Kollegen die gleichen Experimente an gesunden menschlichen Leberzellen: „Und wieder funktionierte es, und zwar hocheffizient!" Das Prinzip ließ sich also tatsächlich auf das menschliche Virus und menschliche Hepatozyten übertragen. Dabei wollte Urban zunächst gar kein Medikament entwickeln, sondern vor allem verstehen, wie die Wirtsspezifität von HBV beim Menschen zustande kommt. Denn eine Maus lässt sich mit dem menschlichen Virus nicht infizieren.
Damals hatte man
gerade bei Peking-Enten ein eigenes Hepatitis-B-Virus entdeckt.
Bald war das Peptid im Labor so weit optimiert, dass es in sehr kleinen Konzentrationen die HBV-Infektion komplett blockierte – und das erstaunlich lange. Einmal an der Hepatozyte angedockt, blieb es dort für ca. 18 Stunden. „Typischerweise regenerieren sich Rezeptoren innerhalb von Minuten – aber hier nicht." Doch was bringt es einem Infizierten noch, wenn es ein Mittel gibt, welches das Eintreten des Virus in die Hepatozyten verhindern kann?

„Sehr viel", erklärt Urban. Denn das Virus muss, um langfristig überleben zu können, immer neue Hepatozyten befallen, weil die „erkrankten" vom Immunsystem eliminiert werden. Außerdem können Babys infizierter Mütter unter der Geburt geschützt werden. Gründe genug, um das Peptid als Wirkstoffkandidaten — als sogenannte „Lead Substance" — weiterzuentwickeln. Die Pharmaindustrie aber winkte ab. Das BMBF nicht — und gab 2.4 Millionen Euro für die präklinische Entwicklung.

Weltweit erstes Medikament gegen Hepatitis D

Vor klinischen Studien an Menschen gibt es eine Hürde: die notwendigen Tests im Tiermodell. „Wegen der hohen Wirtsspezifität wäre dies lediglich an Schimpansen möglich gewesen – ethisch ist das aber ein „No-Go", erklärt Urban. An der Uniklinik Hamburg-Eppendorf war dem Team um Maura Dandri jedoch gerade gelungen, in Mäusen menschliche Leberzellen wachsen zu lassen, nachdem sie deren Immunsystem ausgeschaltet hatte.

„So begann unsere Kooperation mit dem DZIF. Wir sahen, dass das Peptid innerhalb von zwei Minuten aus dem Blutkreislauf verschwand und an die Leberzellen andockte. Und zwar nur dort, wie sich mit radioaktiv markiertem Wirkstoff zeigen ließ." Auch bei der Maus verblieb es zwölf bis 14 Stunden an den Hepatozyten und verhinderte die Infektion. Da das HB- und das HD-Virus die gleiche Hülle tragen, hatte Urbans Team nun zugleich auch das weltweit erste Medikament gegen Hepatitis D in der Hand.

Blieb noch eine wichtige Frage: An welchen Rezeptor der Leberzelle dockten das Peptid – und die beiden Viren – eigentlich an? Es begann ein Wettlauf zwischen Heidelberg und Peking, wo sein chinesischer Kollege Wenhui Li ebenfalls danach fahndete. Fast zeitgleich fanden beide heraus, dass NCTP, ein Gallensalztransporter, der Rezeptor war. Nun war der Weg frei: Im Juli 2011 wurde dem ersten gesunden Freiwilligen Myrcludex B in Heidelberg verabreicht.

Länger behandeln, eventuell dauerhaft

Nur eine Sache irritierte Urban noch: Die Gallensalze zirkulierten bei kleinen Konzentrationen des Peptids weiterhin „ordnungsgemäß" zwischen Leber, Darm und wieder zurück zur Leber. Obwohl der Rezeptor das Peptid gebunden hatte und das Virus am Eintritt hindern konnte. Warum? „Eine Erklärung wäre, dass das Virus mit mehreren Rezeptoren gleichzeitig interagieren muss, um Zugang zur Hepatozyte zu bekommen." Nun war auch klar, warum in Studien bei HDV-Patienten zwei, fünf und zehn Milligramm fast gleich gut wirkten. Es reichte völlig aus, nur einen Teil aller Andockstellen zu blockieren, um einen antiviralen Effekt zu erreichen!
Ende Juli 2020 wurde Myrcludex in Europa unter dem Namen Hepcludex zugelassen. zunächst für Hepatitis D und bald vielleicht auch für Hepatitis B.
Auch Patienten, die teils schon eine durch Zirrhose geschädigte Leber hatten, erhielten Myrcludex B täglich über 24 Wochen. Bei allen (!) besserte sich die Leberentzündung und die Viruslast von HDV sank in diesem Zeitraum auf durchschnittlich ein Fünfhundertstel. „Während der Therapie konnte das Virus nicht mehr eindringen und gesunde Zellen, die die Leber regenerierten, waren geschützt. Nach Absetzen des Wirkstoffes stiegen die Infektionswerte allerdings wieder. Wir müssen also länger behandeln, eventuell dauerhaft."

Inzwischen wurde der gut verträgliche Wirkstoff auch in Kombination mit dem Immunmodulator Interferon alpha gegen Hepatitis B getestet. „Nach 48 Wochen war die Viruslast auf ein Millionstel reduziert und bei einem Teil der Patienten waren beide Erreger sogar in der Leber nicht mehr messbar. Diese Patienten werden weiter beobachtet und sind wahrscheinlich geheilt."

Schnellzulassung unter Auflagen

Während Urbans Team an einer verbesserten Dosierung und einem Schnelltest für HBV/HDV arbeitet, erhielt Myrcludex B beziehungsweise Bulevirtide (wie es jetzt offiziell heißt) den „Orphan Drug Status" von den Zulassungsbehörden FDA in USA und EMA in Europa. Und eine Schnellzulassung unter Auflagen, weil es die allererste Therapieoption für HDV überhaupt ist.

Seit Herbst 2019 bekommen in Frankreich bereits Hepatitis-D-Patienten Myrcludex im Zuge eines „Compassionate Use" (Härtefallprogramm) des französischen Gesundheitsministeriums. In Russland ist Myrcludex seit November 2019 zugelassen. Ende Juli 2020 wurde Myrcludex in Europa unter dem Namen Hepcludex zugelassen. Zunächst für HDV und bald wohl auch für HBV. Ente gut, alles gut.
Update, Januar 2021
Translationaler Erfolg für das DZIF: US-Branchenriese Gilead sichert sich Hepcludex
Link zur Pressemitteilung des DZIF
linkedin facebook pinterest youtube rss twitter instagram facebook-blank rss-blank linkedin-blank pinterest youtube twitter instagram