Engagement in eigener Sache
Patientinnen und Patienten können wichtige Impulse für die Forschung geben. Die DZG bieten vielfältige Möglichkeiten, sich einzubringen. Davon profitieren die Wissenschaft und Menschen mit Erkrankungen.
Seit 21 Jahren weiß Karin Seyffarth, dass sie Typ-1-Diabetes hat. Die Autoimmunkrankheit zerstört die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse und ist leider bislang nicht heilbar. Karin Seyffarth nahm schon während ihres Studiums an zwei Diabetesstudien teil. Die 38-jährige Marketing- und Pressereferentin war überrascht, wie unterschiedlich das Wissen der Teilnehmenden über die Krankheit war. Vor allem aber: wie viele Fragen Ärztinnen und Ärzte an die Patientinnen und Patienten hatten. Als sie Mutter wurde, überlegte sie nicht lange und meldete ihre beiden Töchter zur Früherkennung beim halbjährigen Diabetes-Screening sowie der Pre-POINTearly-Studie beim DZD-Partner Helmholtz Munich an.
Immuntoleranz aufbauen
Bei dieser Studie wird Kindern mit familiärem und genetischem Risiko für Typ-1-Diabetes im Alter zwischen sechs Monaten und zwei Jahren täglich eine kleine Menge Insulin-Pulver mit der Nahrung verabreicht, damit sie eine Immuntoleranz gegen über dem körpereigenen Insulin aufbauen.
„Das einzige, womit ich meinen Töchtern mit ihrem Diabetesrisiko helfen kann, ist die Forschung voranzutreiben“, erklärt Seyffarth. Sie ist überzeugt, dass „die Forschung besser vorankommt, wenn wir Patientinnen und Patienten selbst mithelfen“. Deshalb engagiert sie sich auch in der neuen DZG-Arbeitsgruppe Patient:innenbeteiligung. Dort arbeiten Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter aller sechs DZG gemeinsam mit 12 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an neuen Modellen, um die Interessen von Menschen mit Erkrankungen stärker in die Forschung einzubinden. Bei jeder Untersuchung, jedem medizinischen Eingriff fallen heute jede Menge Daten und Informationen an, mit deren Hilfe man Volkskrankheiten besser erforschen kann – etwa zu Blutdruck, Größe und Gewicht, in Form von Ultraschallaufnahmen oder Röntgenbildern. Um den Schatz zum Wohl der Patientinnen und Patienten effizient zu nutzen, müssen Daten über die Grenzen von Institutionen und Disziplinen hinweg ausgetauscht, harmonisiert und über sichere Infrastrukturen miteinander vernetzt werden. Doch wie sehen die Betroffenen das? Was sollte beim Umgang mit den sensiblen Informationen berücksichtigt werden? Wie kann man auf das Thema Datenspende aufmerksam machen? Hier wollen die Patientenvertreter ihre Erfahrungen und ihr Wissen einbringen.
DAS EINZIGE, WOMIT ICH MEINEN TÖCHTERN MIT IHREM DIABETES-RISIKO HELFEN KANN, IST, DIE FORSCHUNG VORANZUTREIBEN.
Patientenbeirat für Forschung eingerichtet
Die AG ist eine von vielen Möglichkeiten, die die DZG interessierten Menschen bieten, sich in der Forschung zu engagieren. Um die Perspektive der Betroffenen noch enger einzubinden, hat das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), Kernzentrum des DKTK, bereits 2018 als erste Einrichtung in Deutschland einen Patientenbeirat für Forschung eingerichtet. Die Patientinnen und Patienten bringen neue Aspekte ein, wie zum Beispiel das Thema Lebensqualität. Krebsforschung soll nicht nur untersuchen, wie man einen Tumor wirkungsvoll bekämpft, sondern auch Nebenwirkungen von Therapien erfassen und das Befinden der Behandelten verbessern. Im vergangenen Jahr hat das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung einen Beirat für Bürger und Patienten gegründet. Dessen Expertise fließt zum Beispiel in den Aufbau einer neuen Multicenter-Studie ein.
Auch das Deutsche Zentrum für Lungenforschung nutzt schon lange die Erfahrungen von Patientinnen und Patienten: Seit 2016 ist Pippa Powell, die Direktorin der European Lung Foundation (ELF), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des DZL. Sie bringt die Expertise der ELF ein, einem Verbund europäischer Patientenorganisationen auf dem Gebiet der Lungenerkrankungen. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten so weiterzubilden und zu ermächtigen, dass sie ihre eigenen Belange bei medizinischem Personal, Politik, Forschung und Medien zu Gehör bringen können.
Tendenz geht zum frühen Einbeziehen
Die Tendenz geht inzwischen dahin, Patientinnen und Patienten schon ganz früh in die Forschung miteinzubeziehen. Zum Beispiel über die Beteiligungsplattform Fragdiepatienten.de des DKFZ, auf der Forschende via Umfragen Meinungen und Anregungen von Betroffenen zu geplanten Projekten einholen. Die DZG haben aber auch schon erste Citizen-ScienceAktivitäten gestartet. Hier werden Projekte unter Mithilfe von oder komplett durch interessierte Laien durchgeführt. Ein Beispiel für diese patientengetriebene Forschung ist die Weiterentwicklung von Diabetes-Managementsystemen, welche die Insulinabgabe automatisch an den Glukosewert anpassen, sogenannte Closed-Loop-Systeme. Hier arbeiten Menschen mit Diabetes an Algorithmen für die Verabreichung des Medikamentes mit, die durch Künstliche Intelligenz verbessert werden. Die Forschenden beraten und unterstützen sie dabei. Forschende und Ärzteschaft haben erkannt, dass beide Seiten profitieren, wenn sich Patientinnen und Patienten engagieren. Einblicke in die Perspektive der Betroffenen und ihre Anregungen können bei der Entwicklung effektiverer Therapieformen helfen. Es ist also eine „Win-Win-Win-Situation“.
Mehr Informationen zur Arbeitsgruppe "Patient:innenbeteiligung" finden Sie auf der
Webseite der DZG.