SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Blutbilder

Blut übernimmt viele wichtige Funktionen im Körper und kann Einblicke geben, die für die medizinische Diagnostik unentbehrlich geworden sind.
Nüchtern betrachtet ist das Blut, das durch unsere Venen und Arterien fließt, eine Substanz aus Zellen und flüssigen Bestandteilen, die physiologische Funktionen erfüllt. Doch schon Galenos von Pergamon sprach vor rund 1.800 Jahren vom „Sanguis vitae“, dem „Lebenssaft“. Er glaubte damals, dass das Blut vom Herzen aus in unseren Körper strömt und ihm seine Vitalität schenkt – ein Bild, das von der Faszination erzählt, die diese Flüssigkeit seit jeher ausstrahlt.

7.200 Liter strömen täglich durch unsere Organe

Nun ist heute längst sicher: Die Zellen des Blutes stammen nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Knochenmark. Und das Herz spielt eine wichtige Rolle: Es pumpt den „Lebenssaft“ unser gesamtes Leben lang durch den Körper – rund 7.200 Liter strömen täglich durch das Organ. Und während unser Blut unaufhörlich in Bewegung ist, übernimmt es mindestens ein Dutzend wichtiger Funktionen. Es versorgt den menschlichen Körper mit Sauerstoff und gibt in der Lunge Kohlendioxid ab, damit dieses ausgeatmet werden kann. Es transportiert Hormone zu den Zellen, in denen sie gebraucht werden, und bringt Nährstoffe aus der Nahrung, die wir zu uns nehmen, in Gewebe und Organe. Es hilft, Krankheitserreger abzuwehren und gleicht unsere Körpertemperatur aus. Über das Blut werden Abfallprodukte des Stoffwechsels entsorgt und es dient als Puffer, um das Säure-Basen-Gleichgewicht im Körper zu regulieren und aufrechtzuerhalten.
DIE ZELLEN DES BLUTES STAMMEN NICHT AUS
DEM HERZEN, SONDERN AUS DEM KNOCHENMARK
Zu sehen bekommen wir es meist nur, wenn wir uns verletzen: Dann wird die Blutgerinnung aktiv, bei der spezielle Zellen und Proteine die Blutung stoppen. Oder wenn uns Blut abgenommen wird – eine der wichtigsten Methoden zur Diagnostik in der Medizin. Im „Blutbild“ kann man die Anzahl und Art der Zellen in der Flüssigkeit feststellen, es kann helfen, Anämien, Infektionen, Diabetes oder Blutkrankheiten zu erkennen. Unser Blut kann viel über unseren Körper aussagen. Wenn bestimmte Enzymwerte erhöht sind, kann das auf Probleme der Leber oder der Nieren hinweisen. Ungleichgewichte bei Elektrolyten oder Mineralien deuten auf Nierenkrankheiten oder Hormonstörungen hin. Sind Proteine wie Troponin erhöht, kann das Herzprobleme anzeigen, erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte vergrößern das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Auch Infektionen mit HIV, Hepatitis-Viren, SARS-CoV-2, dem West-Nil-Virus sowie anderen krankheitserregenden Viren, Bakterien und Parasiten sind im Blut nachweisbar, genau wie Proteine, die auf Hirnerkrankungen hinweisen.

„Blutbild“ kann Erkrankungen anzeigen

Autoimmunerkrankungen werden durch den Nachweis entsprechender Antikörper diagnostiziert, wie bei Lupus oder rheumatoider Arthritis. PSA, das Prostata-spezifische Antigen, zeigt Prostatakrebs an, der Tumormarker CA-125 ist bei Eierstockkrebs erhöht. Mangelt es dem Körper an Vitaminen und anderen Nährstoffen, ist das ebenfalls im Blut erkennbar. Und schließlich sind genetische Tests möglich, etwa bei der Suche nach der BRCA-Mutation, die mit einem erhöhten Risiko für Brust- und Eierstockkrebs in Verbindung steht. Auch das Blut selbst kann erkranken: Dann lautet die Diagnose beispielsweise Gerinnungsstörung, Blutarmut oder Blutkrebs. Der Begriff „Blutbild“ kann also wörtlich genommen werden: Es liefert uns ein Bild unserer Gesundheit, beziehungsweise von – möglichen – Störungen und Erkrankungen.
DER BEGRIFF „BLUTBILD“ KANN WÖRTLICH GENOMMEN WERDEN: ES LIEFERT UNS EIN BILD UNSERER GESUNDHEIT.
Zusammengesetzt ist das menschliche Blut aus Blutplasma und festen Bestandteilen. Das Blutplasma macht etwas mehr als die Hälfte aus. Es ist eine gelbe Flüssigkeit, die aus Wasser, Nährstoffen, Proteinen, Hormonen und Abfallprodukten besteht. Die festen Bestandteile, das sind Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten. Erythrozyten, die sogenannten roten Blutkörperchen, bringen Sauerstoff von den Lungen zu den Zellen im Körper. Leukozyten, die weißen Blutkörperchen, helfen als Teil des Immunsystems dabei, uns vor Infektionen zu schützen – daran sind auch Antikörper beteiligt, die ebenfalls im Blut vorhanden sind. Thrombozyten, die sogenannten Blutplättchen, sind wichtig für die Gerinnung.

Im Jahr 1901 entdeckte der österreichische Wissenschaftler Karl Landsteiner vier Blutgruppen: A, B, AB und 0. Mit der Entdeckung machte er Bluttransfusionen weitaus sicherer und bekam für seine Arbeit im Jahr 1930 den Nobelpreis für Medizin verliehen. Es gibt weitere Systematisierungen, aber seine ist die bekannteste und am meisten verbreitete. Die vier Gruppen im „AB0“-System werden auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen durch spezifische Antigene bestimmt: Eiweißmoleküle oder Zuckerstrukturen, die als Marker auf den Zellen sitzen und vom Immunsystem erkannt werden können. Blutgruppen sind genetisch festgelegt, werden also von Eltern an ihre Kinder vererbt.
Es finden sich zwei Gruppen von Antigenen auf den roten Blutkörperchen: A-Antigene und B-Antigene. Blutgruppe A bedeutet, dass nur A-Antigene zu finden sind, bei Gruppe B sind es ausschließlich B und bei AB beide. Blutgruppe 0 liegt vor, wenn ein Mensch keines dieser Antigene trägt. Sie oder er kann dann fast an alle anderen Personen Blut spenden – die fehlenden Antigene lösen keine Immunreaktion bei der Empfängerin oder dem Empfänger aus. Auf die Kompatibilität zu achten, ist enorm wichtig, denn die bei einer Immunreaktion gebildeten Antikörper können die roten Blutkörperchen des Spenderbluts angreifen und damit schwere Komplikationen auslösen.

Bluttransfusionen werden bei Operationen eingesetzt, aber auch bei Verletzungen oder Erkrankungen des Blutes. Dabei ist wichtig, dass die Flüssigkeit optimal konserviert und getestet wird. Auch in diesen Bereichen hat die Medizin in den vergangenen 100 Jahren riesige Fortschritte gemacht, wodurch das Risiko von Bluttransfusionen drastisch gesenkt werden konnte.

EXKURS – GESCHICHTE DER BLUTUNTERSUCHUNG

Die heute übliche Analyse von Blut ist erst durch Methoden möglich geworden, von denen viele nicht älter als rund 100 Jahre sind. Dabei reicht die Geschichte der Blutdiagnostik viel weiter zurück: Es wird vermutet, dass bereits im alten Ägypten Blutuntersuchungen vorgenommen wurden. Aufzeichnungen auf Papyrus aus dem 16. Jahrhundert vor Christus weisen darauf hin. Sicher ist: Mehr als 3.000 Jahre später brachte die Erfindung des Mikroskops einen Durchbruch, denn mit ihm konnte man die Zellen des Blutes genau beobachten und das Wissen über die Zusammensetzung der Flüssigkeit wuchs rasant. Die Weiterentwicklungen von Technologie und Biochemie im 20. Jahrhundert haben schließlich zu den Möglichkeiten geführt, welche die moderne Medizin heute nutzen kann. Dazu gehören die Entschlüsselung der DNA oder die Behandlungen von Krankheiten des Blutes, beispielsweise per Stammzelltherapie bei Leukämie.
Doch was es immer braucht, sind Spenderinnen und Spender: Laut dem Deutschen Roten Kreuz besteht hierzulande der Bedarf an täglich 15.000 Blutspenden. Der demografische Wandel spielt mit hinein: Dass es mehr ältere Menschen gibt, bedeutet, dass mehr Blut gebraucht wird, während die Bereitschaft junger Menschen zur Spende eher sinkt. Nur 3,5 Prozent der Menschen in Deutschland spenden und die Bereitschaft dazu ist in der Coronapandemie weiter gesunken. Dabei benötigt statistisch betrachtet jede oder jeder dritte Bundesbürgerin oder Bundesbürger einmal im Leben ein Blutprodukt.
WAS ES IMMER BRAUCHT, SIND SPENDERINNEN UND SPENDER.
Es wird auch deshalb intensiv an der Produktion von künstlichem Blut gearbeitet. Im Jahr 2022 hat ein britisches Forscherteam der Universität Bristol erstmals erfolgreich rote Blutkörperchen auf zwei Menschen übertragen, für die es Stammzellen verwendete, die im Labor aus Blutspenden gezüchtet wurden. Diese könnten unter anderem Patientinnen und Patienten mit Sichelzellenanämie helfen, bei denen sich die roten Blutkörperchen verformen und die deshalb langfristig auf Spenden angewiesen sind. Die produzierten Mengen sind noch gering: Gerade einmal zwei bis drei Teelöffel waren es in diesem Fall. In Dresden konnte ein Team um den Transfusionsmediziner Torsten Tonn von der Technischen Universität rund einen Fingerhut voll roter Blutkörperchen herstellen. Künstliches Blut könnte nicht nur viel menschliches Spenderblut ersetzen, es könnte auch einfacher zu konservieren und länger haltbar sein – und viele Leben retten.
Forscherinnen und Forscher an den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) beschäftigen sich in zahlreichen Projekten mit unserem Blut. Der Lebenssaft birgt noch viele Geheimnisse – und Entwicklungen in Wissenschaft und Technik haben neue Möglichkeiten aufgetan, um Krankheiten besser zu verstehen, zu erkennen und zu behandeln. Beispiele dafür finden sich in dieser Ausgabe des Magazins.
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