SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Mehr als nur ein Husten

Hinter dem Kürzel COPD verbirgt sich ein bis heute unheilbares Leiden: Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung wird im Jahr 2030 voraussichtlich die dritthäufigste Todesursache weltweit sein. Noch wird sie zu selten oder oftmals zu spät erkannt – das will das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) ändern.
Raucherhusten, was soll es sonst sein, denken sich viele, die morgens nach dem Aufstehen krampfhaft bellen und Schleim ausspucken müssen. Es können Monate oder Jahre ins Land gehen, dann zieht sich ihr Husten schon hartnäckig durch den Tag und eigentlich selbstverständliche Tätigkeiten wie Treppensteigen werden vom Ringen um Luft begleitet. Atemnot und eine angstvolle Enge in der Brust schleichen sich schließlich auch beim Sitzen auf dem Sofa ein. „Wer mit so schwerwiegenden Symptomen zum Arzt kommt, hat in der Regel schon die Hälfte seines Lungenvolumens verloren“, sagt Dr. Kathrin Kahnert. Sie ist Lungenfachärztin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und eine der Koordinatorinnen der Beobachtungsstudie COSYCONET, in der das DZL nach neuen Ansätzen zur Prävention, Diagnostik und Behandlung der COPD fahndet. An dieser Studie nahmen seit Herbst 2010 bundesweit 2.741 Patientinnen und Patienten aller Schweregrade teil. Ihr Krankheitsverlauf wurde an 31 Studienzentren das ganze Jahrzehnt hindurch regelmäßig untersucht. Der Schwerpunkt lag darauf, den Zusammenhang mit anderen Krankheiten zu entschlüsseln, also die COPD als Erkrankung des gesamten Körpersystems besser zu verstehen.
ENTZÜNDLICHE VORGÄNGE KÖNNTEN AUCH COPD-BEGLEITERKRANKUNGEN WIE BLUTARMUT, DEPRESSIONEN, DIABETES, LUNGEN-HOCHDRUCK, LUNGENKREBS UND OSTEOPOROSE AUSLÖSEN ODER VERSCHLIMMERN.
Überblähung ist ein typisches Symptom. Luft sammelt sich in der Lunge, kann aber nicht wieder ausgeatmet werden.

Eine Entzündung des ganzen Körpers?

Eine COPD schleicht sich als fortschreitende Entzündung aus den Bronchien immer tiefer in die Verästelungen der Atemwege hinein, die aneinandergereiht
mehr als 2.000 Kilometer lang wären. Sie verengen sich dadurch dauerhaft, das Ausatmen fällt immer schwerer, die Luft ist in der Lunge wie gefesselt. Eine zweite Form der COPD, das Lungenemphysem, zerstört die hauchdünnen Trennwände zwischen den Lungenbläschen, an denen der Austausch zwischen Kohlendioxid und Sauerstoff stattfindet. So schrumpft die Atemfläche dramatisch. In beiden Fällen wirkt sich die Obstruktion der Atmung negativ auf andere Organe aus. Vor allem natürlich auf das Herz, das im Takt des Pulses sauerstoffarmes Blut in die Lunge hineinpumpt, um von ihr mit sauerstoffreichem versorgt zu werden. Zum Krankheitsbild von COPD-Patientinnen und -Patienten können aber auch der Abbau von Muskelmasse und Auszehrung zählen, was für entzündliche Vorgänge im gesamten Körper spricht. Solche Vorgänge könnten auch typische COPD-Begleiterkrankungen wie Blutarmut, Depressionen, Diabetes, Lungenhochdruck, Lungenkrebs und Osteoporose auslösen oder verschlimmern. Für die Forschung leitet sich daraus die Frage ab: Ist die COPD primär durch eine Entzündung in der Lunge gekennzeichnet, die in den Rest der Blutbahn überschwappt – oder ist ihr Charakteristikum eine systemische Entzündung, von der auch die Lunge betroffen ist? „Das können wir bisher nicht seriös beantworten“, sagt Kathrin Kahnert. „Wir haben keinen eindeutigen Biomarker für die Lunge, an dem wir ablesen können, wo die Entzündung zuerst war.“
2.000 KM VERÄSTELUNGEN

Rauchen ist nicht der einzige Risikofaktor

Tatsache ist, dass Rauchen die Entzündung triggern kann, die einer COPD zugrunde liegt. Es ist aber beileibe nicht der einzige Risikofaktor. Die Luftverschmutzung spielt für die Krankheitsentstehung eine zunehmend wichtige Rolle – nicht nur durch Auto- und Industrieabgase, sondern auch durch Kochen am offenen Feuer in Innenräumen, wie es in vielen Entwicklungsländern gang und gäbe ist. Neben genetischen Veranlagungen, die für eine COPD prädisponieren, wird die Krankheit manchmal auch vom medizinischen Fortschritt verursacht. Denn die höheren Überlebenschancen von viel zu früh geborenen Babys bedeuten, dass mehr Menschen das Erwachsenenalter mit zu kleinen oder geschädigten Lungen erreichen. Schließlich begünstigen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder HIV die Entstehung einer COPD. Wie sich in der COSYCONET-Studie gezeigt habe, sei eine COPD teilweise auch mit dem Sozialstatus verknüpft, gerade bei Menschen, die nicht rauchen, sagt Kahnert. „Wer weniger Geld hat, eine geringere Bildung aufweist, in schlechteren Verhältnissen wohnt, sich schlechter ernährt, mehr Schadstoffen ausgesetzt ist, den trifft diese Krankheit häufiger.“
WER BEISPIELSWEISE WENIGER GELD HAT, EINE GERINGERE BILDUNG AUFWEIST ODER MEHR SCHADSTOFFEN AUSGESETZT IST, DEN TRIFFT COPD HÄUFIGER.

Noch kein Durchbruch in der Arzneimittelforschung

Die Vorstellung, COPD sei eine Erkrankung, die nur Raucherinnen und Raucher trifft, die damit selbst daran schuld seien, müsse endlich durchbrochen werden, sagt die Lungenfachärztin. Das könnte die Entwicklung effektiver Therapien beschleunigen. Aktuell besteht der Behandlungsstandard aus zwei Substanzen, welche die Atemwege erweitern, sowie einem Cortisonpräparat. Oft werden sie als Dreifachtherapie verabreicht. Damit lassen sich immerhin das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, die Symptome lindern und die wiederkehrenden Anfälle von akuter Atemnot und starkem Husten abschwächen. Im Gegensatz zu anderen Atemwegserkrankungen wie beispielsweise Asthma und Lungenhochdruck hat es bei der Behandlung der COPD aber seit 50 Jahren keine wirklichen Durchbrüche in der Arzneimittelforschung gegeben. „Die klinische Situation hat sich aber dadurch verbessert, dass wir heute genau wissen, wem wir wann welches Medikament geben müssen“, sagt Dr. Henrik Watz vom Pneumologischen Forschungsinstitut an der LungenClinic Grosshansdorf. „Außerdem sind die Inhalatoren deutlich effektiver geworden.“ Entzündungshemmer, welche bei Indikationen wie Rheuma Erfolg hatten, seien bei der COPD jedoch gescheitert. Inzwischen setze man große Hoffnung auf einen Antikörper gegen den Botenstoff Interleukin-33, dessen Entwicklung sich in der letzten Phase der klinischen Prüfung befinde.
Schwere COPD verursacht auch nachts erhebliche Atmungsstörungen. Helfen kann hier nichtinvasive Beatmung.

Ein ganzheitlicher Blick eröffnet neue Perspektiven

Unabhängig von diesen Fortschritten der Pharmaforschung haben die Erkenntnisse aus COSYCONET neue therapeutische Perspektiven eröffnet. So zeigte sich, dass bei vielen Menschen mit Diabetes, die an der Studie teilnahmen, sowohl die Fähigkeit der Lunge, das Blut mit Sauerstoff zu versorgen, langsamer absank als auch Osteoporose seltener als Begleiterkrankung auftrat. „Wir fanden heraus, dass das am Diabetes-Medikament Metformin liegt“, sagt Kathrin Kahnert. „Diabetiker mit COPD profitieren von dessen protektiver Wirkung doppelt.“ Auch habe man nachweisen können, dass sich atemwegserweiternde Substanzen positiv aufs Herz auswirken, indem sie die Füllung des linken Vorhofs verbessern. „COSYCONET war von Anfang an darauf konzipiert, mit differenziertester Lungendiagnostik wirklich in die Tiefe zu gehen“, sagt Kahnert. In ihrem Detailgrad übertrifft COSYCONET internationale Studien, die mehr Patientinnen und Patienten einschlossen. Exzellent war besonders die Erhebung ihrer Komorbiditäten. Sie erfolgte in strukturierten Interviews, zu denen alle Medikamente mitgebracht werden mussten. So ließ sich das Wechselspiel zwischen den verschiedenen Organen, das sich bei einer COPD ausprägt, multidimensional analysieren. Beflügelt von hochrangigen Publikationen, die aus der Studie resultierten, wurde im Oktober 2019 COSYCONET 2 gestartet. „Weil eine COPD tendenziell zu spät diagnostiziert wird, wollen wir den Schwerpunkt dabei auf die frühen Stadien legen, in denen noch keine schwerwiegende Schädigung der Lunge vorliegt“, erklärt Kahnert. „So hoffen wir, besser zu identifizieren, wo wir therapeutisch einschreiten können.“

Wie wichtig das wäre, weiß auch die Gesundheitspolitik. Die COPD ist die häufigste Erkrankung der Atemwege. „Dennoch kam sie noch vor 20 Jahren in ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen nicht vor“, erinnert sich Henrik Watz. Durch die Gründung des Deutschen Zentrums für Lungenforschung habe die Politik dann der Gefahr von Atemwegserkrankungen Rechnung getragen und damit viel in Bewegung gebracht. Noch aber ist einiges zu tun. „Wir brauchen einen ganzheitlicheren Ansatz für die COPD“, sagt Kathrin Kahnert. „Es ist eine Krankheit, von der mehrere Organe und auch junge Menschen betroffen sind. Es lohnt sich, in der ärztlichen Praxis genau hinzuschauen.“
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