SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Mikroumgebung

Wie wichtig das Umfeld eines Tumors bei der Krebstherapie ist, wird immer deutlicher: Es kann die Genesung unterstützen oder sabotieren. Krebsforscherinnen und -forscher sind deshalb auf der Suche nach Medikamenten, die auch die Tumormikroumgebung beeinflussen.
Bauchspeicheldrüsentumore wachsen oft schnell und sind meist tödlich – nur acht Prozent der Erkrankten leben länger als fünf Jahre. Darmkrebs hingegen breitet sich eher langsam aus, über viele Jahre hinweg. Wird dieser Krebs jedoch spät entdeckt, ist auch er mit einer schlechten Prognose verknüpft – fünf Jahre nach der Diagnose leben laut Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums in Stadium IV nur noch acht bis zehn von 100 Patientinnen und Patienten. Krebs ist nicht gleich Krebs: Bis heute ist es eine der häufigsten Erkrankungen, bei der viele Fragezeichen bleiben: Warum sind manche Krebsarten so aggressiv? Wie kann sich der Tumor überhaupt so schnell und unter dem Radar des Immunsystems entwickeln? Warum schlägt die Behandlung bei einem Patienten an und bei einem anderen nicht?

Inzwischen wird immer klarer, dass ein Tumor kein Einzelkämpfer ist. Er ist selten eine abgekapselte Geschwulst, die man lediglich entfernen muss, so wie man dies früher annahm. Im Gegenteil: Die gesunden Zellen um den Tumor herum, die sogenannte Tumormikroumgebung (tumor microenvironment, kurz: TME), sowie die Interaktion mit dem Immunsystem und dem Blutkreislauf spielen ebenso eine große Rolle bei der Erkrankung.
DER TUMOR KOMMUNIZIERT MIT SEINEM UMFELD, ALLE ZELLEN KOMMUNIZIEREN MITEINANDER.
TUMORZELLE
Tumorzellen sind die zelluläre Grundlage eines Tumors. Sie teilen sich ohne Rücksicht auf das umgebende Gewebe.
NK-ZELLE
Natürliche Killerzellen gehören zu den Lymphozyten und können abnormale Zellen erkennen und abtöten.
ZYTOKINE
Zytokine sind Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren.
EZM
Die extrazelluläre Matrix, die geflechtartig die Zellen umgibt, stellt den Kontakt zwischen ihnen her.

Tumoren interagieren mit ihrer Umgebung

Wenn sich aus einer gesunden Zelle eine Krebszelle entwickelt, dann liegt das meist an Schäden am Erbgut der Zellen oder Fehlern beim Ablesen der Erbinformation. „Manchmal entstehen diese Schäden zufällig, aber auch der persönliche Lebensstil, Umweltfaktoren und die erbliche Veranlagung können eine Rolle spielen“, sagt Prof. Dr. Florian Greten, Professor für Tumorbiologie im Fachbereich Medizin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Direktor des Georg-Speyer-Hauses (GSH), Sprecher des LOEWE-Zentrums Frankfurt Cancer Institute (FCI) und Wissenschaftler im DKTK.

Warum aber ein Mensch an Krebs erkrankt und der andere nicht, lässt sich meist nicht mit Sicherheit feststellen. Lebensstilfaktoren, Umwelteinflüsse oder erbliche Faktoren können das Krebsrisiko erhöhen. Auch das Lebensalter spielt eine Rolle – am häufigsten erkranken ältere Menschen. Für alle bösartigen Tumoren gilt: Die Zellen vermehren sich unkontrolliert und wachsen in das gesunde Gewebe hinein. Sie teilen sich, obwohl sie das nicht sollten, sie sterben nicht ab, obwohl sie das sollten, und sie verlassen ihren angestammten Platz. So entsteht ein bösartiger Tumor, der das umliegende Gewebe zerstört und sich auch in andere Körperregionen ausbreiten kann.

„Der Tumor kommuniziert mit seinem Umfeld, erteilt ihm Befehle, alle Zellen interagieren miteinander“, erklärt Prof. Dr. Dr. Melanie Börries, Direktorin des Instituts für Medizinische Bioinformatik und Systemmedizin des Uniklinikums Freiburg und der Freiburger Universität. „Und er will raus – so hat er die Fähigkeit, in das umgebende Bindegewebe einzubrechen und sich an anderer Stelle erneut anzusiedeln.“ Die DKTK-Wissenschaftlerin forscht seit vielen Jahren zum Thema Tumormikroumgebung.

Diese besteht neben den Tumorzellen aus einer ganzen Reihe an Zellen, zum Beispiel Fibroblasten, neuroendokrinen Zellen, Adipozyten, einwandernden Immun- und Entzündungszellen, aus Blut- und Lymphgefäßen sowie der extrazellulären Matrix (siehe Infografik). „Das sind zum Beispiel Zellen, die Blut- und Lymphgefäße bilden, um den Tumor zu versorgen, Zellen, die das Tumorgewebe stützen, und Immunzellen, die in den Tumor einwandern“, sagt Melanie Börries. Krebs-assoziierte Fibroblasten sind oft in hoher Zahl vorhanden, sie treiben das Wachstum des Tumors voran. Das Perfide daran: Die Krebszellen beeinflussen das Gewebe und das Immunsystem so, dass es die Krebszellen nicht mehr eindämmen kann.

TUMORMIKROUMGEBUNG

Das Umfeld eines Tumors verbessert die Heilungschancen – oder verschlechtert sie. Die gesunden Zellen, die um ihn herum angeordnet sind, nennt man auch Tumormikroumgebung (tumor microenvironment, kurz: TME). Sie interagiert mit dem Immunsystem und dem Blutkreislauf und spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Krebserkrankungen.
T-ZELLE
T-Lymphozyten oder T-Zellen erkennen und zerstören primär von Viren befallene und geschädigte Körper- sowie Tumorzellen.
B-ZELLE
B-Lymphozyten oder B-Zellen sind zuständig für die Bildung von Antikörpern gegen fremde Strukturen im Körper.
TAM
Tumor-assoziierte Makrophagen, die in Tumoren am häufigsten vorkommenden Leukozyten, sind vermutlich tumorfördernd.
ENDOTHELZELLEN
Endothelzellen kleiden die Blutgefäße aus. Sie sind beteiligt an der Generierung neuer Gefäße, dem Transfer von Immunzellen und der Metastasierung von Tumorzellen.

Unterschiedliche Aufgaben für die Tumorhelfer

„Gerade bei Bauchspeicheldrüsenkrebs ist die Mikroumgebung sehr vielfältig und komplex, daher hat man sie bisher in der Therapie kaum beachtet“, erklärt Melanie Börries. Doch sie und ihr Team konnten zusammen mit kanadischen Kolleginnen und Kollegen entschlüsseln, dass die Zellen Einheiten bilden und sich organisieren. Durch detaillierte Gewebeuntersuchungen, klinische Daten zum Krankheitsverlauf und Tumormodelle erkannten die Forschenden wiederkehrende Muster. Dazu veröffentlichten sie eine Studie im renommierten Fachjournal CELL.

Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs setzt sich die Tumormikroumgebung aus verschiedenen Arten von Zellverbünden zusammen. Die Teams aus Kanada sowie das von Börries konnten drei dieser Sub-Mikroumgebungen identifizieren. „Manche Typen können die Tumorzellen bei der Vermehrung unterstützen, andere schützen die Tumorzellen aber auch vor der Chemotherapie“, sagt Melanie Börries. „Für die Überlebensprognose des Krebserkrankten ist entscheidend, welche Sub-Gruppe in der Überzahl ist.“ Ist bei einer Patientin oder einem Patienten nur eine Sub-Gruppe aktiv, hat sie oder er eine bessere Prognose. Finden die Forschenden eine Kombination der Sub-Gruppen in der Tumormikroumgebung, sind die Aussichten schlechter.

Auch für die Behandlung ist die Zusammensetzung der Tumormikroumgebung ausschlaggebend. „So können wir theoretisch vorhersagen, ob der Patient oder die Patientin besser oder schlechter auf die Therapie ansprechen wird“, sagt Börries. Langsam wird zudem klar, dass sogar man- che Krebsmedikamente das Tumorwachstum ungewollt unterstützen – sie wirken „paradox“. Dieses konnte Börries Team bei einer anderen Tumorentität, dem Hautkrebs, zeigen. „Wir haben lange gerätselt, warum der Tumor trotz Krebsmedikament weiterwuchs. Heute weiß man: Die Tumormikroumgebung unterstützt aufgrund der paradoxen Wirkung des Medikaments das Wachstum des Tumors.“ Auch das sind herausragende Forschungserkenntnisse, die für das Überleben der Erkrankten entscheidend sein können.

In Zukunft wird man somit die Krebstherapie gezielt auf die Zellen der Tumormikroumgebung abstimmen können. Derzeit suchen Melanie Börries und ihr Team nach Molekülen, die einen Hinweis geben, welche Tumormikroumgebung bei der einzelnen Patientin oder dem einzelnen Patienten aktiv ist. „Es wird effektivere Wege geben, um die Tumoren selbst zu bekämpfen – indem man ihre Versorgungswege und Interaktion mit der Umgebung kappt“, sagt die Systemmedizinerin. Doch im Moment sind die Studien dazu erst der Grundlagenforschung zuzurechnen – es gibt noch viele offene Fragen.
IN ZUKUNFT WIRD MAN DIE KREBSTHERAPIE GEZIELT AUF DIE ZELLEN DER TUMORMIKROUMGEBUNG ABSTIMMEN KÖNNEN.

Unterstützung für Immunzellen bei Darmkrebs

Auch Professor Florian Greten und sein Team am Georg-Speyer-Haus und an der Goethe-Universität in Frankfurt haben wichtige Erkenntnisse gewonnen. Sie konnten einen neuen Ansatz in der Darmkrebsforschung entwickeln. Immunzellen, die eigentlich den Tumor bekämpfen sollen, werden durch die Tumormikroumgebung unterdrückt: „So kann der Tumor unkontrolliert wachsen“, erklärt Greten. Nun hat das Team aber ein Stoffwechselprodukt aus dem Granatapfel identifiziert – Urolithin A. Es verbessert die Funktion von Immunzellen im Kampf gegen den Krebs nachhaltig. „Die T-Zellen, die den Tumor bekämpfen, werden durch Urolithin A zu T-Gedächtnisstammzellen – diese können sich häufig teilen und versorgen so das Immunsystem mit jungen, mächtigen T-Zellen“, sagt Greten.

Alte Zellen werden durch neue ersetzt. Urolithin A könnte in Zukunft Krebsmedikamente unterstützen. „Das ist so spannend, weil bei unseren Forschungen nicht die Tumorzelle, sondern das Immunsystem im Vordergrund steht – die natürliche Abwehr gegen Krebs“, sagt Greten. Bisher gibt es kaum wirksame Therapien gegen Darmkrebs, doch das könnte sich nun ändern.

Beide Forschende sind überzeugt, dass Krebs ganzheitlicher gesehen werden muss: „Es ist eine Erkrankung des gesamten Menschen und nicht nur einzelner, isolierter Bereiche“, so Melanie Börries. Die unterschiedlichen medizinischen Fachbereiche müssen interdisziplinär zusammenarbeiten, um den Krebs möglichst dauerhaft bekämpfen zu können. Dahin ist es sicher noch ein längerer Weg, aber weitere große Meilensteine sind geschafft.
DC
Dendritische Zellen sind darauf spezialisiert, Antigene einzufangen und den B- und T-Zellen zur Erkennung zu präsentieren.
CHEMOKINE
Chemokine sind Signalproteine, die Immunzellen zum Tumor locken können, damit diese das entartete Gewebe angreifen.
CAF
Krebs-assoziierte Fibroblasten (CAF) unterstützen die Bildung von Krebszellen und Metastasen.
MDSC
Myeloide Suppressorzellen sind myeloische unreife Blutzellen. Sie regulieren Immunreaktionen und können T-Zell-vermittelte Immunantworten unterdrücken.
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