Post-COVID:
Viele Fragen, etwas Hoffnung
Folgeerkrankungen einer COVID-Infektion belasten Betroffene, fordern die Patientenversorgung und auch die Wissenschaft. Fünf DZG trafen sich dazu auf einem eintägigen Symposium in Frankfurt am Main.
Wo sonst Fußballfans jubeln, zeigten Ende Oktober 2022 Forschende der DZG den Stand der Wissenschaft zum Thema „Post-COVID“ auf: Vor der Kulisse des Frankfurter Waldstadions sprachen sie über offene Forschungsfragen zu Folgeerkrankungen von Corona – und machten Betroffenen auch ein wenig Hoffnung. Organisiert hatte die Veranstaltung das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung unter Federführung von Professor Andreas Zeiher vom Universitätsklinikum Frankfurt. Im anschließenden Bürgerdialog konnten Betroffene und Angehörige Fragen zum Thema Long-COVID und Sport an DZG-Expertinnen und -Experten richten.
Bei COVID-Folgeerkrankungen spricht man in den ersten drei Monaten nach Infektion von Long-COVID und jenseits dieser Zeitspanne von Post-COVID. Wie viele Menschen sind betroffen? Professorin Susanne Herold von der Universität Gießen (DZL und DZIF) sprach von sechs bis zehn Prozent der akut infizierten Patientinnen und Patienten, die über die Elimination des Virus hinaus Beschwerden haben. Jede beziehungsweise jeder sechste bis siebte von ihnen hat nach zwölf Monaten immer noch Symptome – also etwa jede beziehungsweise jeder 100. Infizierte.
Wie genau es zu Long- und Post-COVID kommt, kann die Forschung noch nicht eindeutig beantworten, wohl aber Hypothesen liefern. Denkbar ist etwa, dass an bisher unklarer Stelle im Körper Viren verbleiben, die eine chronische Infektion unterhalten oder eine Immunreaktion auslösen. Belege dafür gibt es bisher nicht. Eine andere Hypothese besagt, dass Herpesvirusinfektionen durch COVID reaktiviert werden. Eine Rolle spielen könnten auch Blutgerinnsel: Laut Professor Steffen Massberg von der LMU München sei sehr früh erkannt worden, dass eine akute COVID-Infektion die Thromboseneigung erhöhe. Die Bindung von Blutplättchen an bestimmte Immunzellen könnte hier einen Einfluss haben. Das Phänomen ist bei schweren COVID-Verläufen ausgeprägter und korreliert mit dem Auftreten von Post-COVID.
Veränderungen am Herzen gefunden
Relativ klar ist mittlerweile, dass SARS-CoV-2 fast nie eine klassische, virale Herzmuskelentzündung verursacht. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass auch milde COVID-Infektionen bei einzelnen Personen zu Veränderungen am Herzen führen können. Darüber berichtete Professor Eike Nagel, Universität Frankfurt, am Beispiel von Herz-MRT. Wie klinisch relevant diese Veränderungen sind, ist noch unklar. Nagel plant eine Studie, um zu klären, ob eine COVID-Therapie die in der Bildgebung gefundenen Veränderungen verhindern kann.
Und es gibt weitere Hypothesen: Haben Veränderungen der Darmflora, die auch nach anderen Infektionen auftreten, eine Relevanz für Post-COVID? Löst SARS-CoV-2 Immunreaktionen gegen körpereigenes Gewebe aus? Letzteres wird für die schwerste Post-COVID-Verlaufsform, das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS, diskutiert. Bei ganz bestimmten Autoantikörpern gebe es eine Korrelation mit der Symptomschwere, sagte Professorin Dr. Carmen Scheibenbogen, Charité Berlin. Man müsse aber nach speziellen Mustern Ausschau halten.
Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Adipositas erhöhen das Risiko für eine schwer verlaufende COVID-19-Erkrankung. Umgekehrt werden bei COVID-19-Patienten auch erhöhte Blutzuckerwerte, Entgleisungen des Stoffwechsels, Diabetes und schwere metabolische Komplikationen eines vorbestehenden Diabetes beobachtet. Wie Post-COVID-Syndrom, Stoffwechsel und Diabetes zusammenhängen, stellte DZD-Forscher Prof. Stefan Bornstein vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden vor.
BÜRGERDIALOG ZUM THEMA „WIEDER FIT UND SPORTLICH AKTIV NACH COVID-19“
v.l.n.r.: Prof. Martin Halle (München), Prof. Winfried Banzer (Frankfurt a. M.), Sascha Zoske (Moderator, FAZ), Prof. Anke Steinmetz (Greifswald), Prof. Andreas Zeiher (Frankfurt a. M.)
Erste Therapien in klinischen Studien
Aus Patientensicht entscheidend ist die Frage nach Therapien. Aktuell läuft im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) eine randomisierte Studie, innerhalb der versucht wird, Autoantikörper mithilfe der Immunadsorption aus dem Blut zu entfernen. Sie richte sich laut Professor Harald Prüß, Charité Berlin, an Post-COVID-Patienten mit Fatigue. 66 Frauen und Männer sollen randomisiert untersucht werden: „Es ist wirklich wichtig, bei solchen Studien den Placeboeffekt zu kontrollieren. Wir hoffen, dass wir bis Ende 2023 alle Patientinnen und Patienten eingeschlossen haben.“
Evaluiert wird auch ein breites Spektrum an unterschiedlichen Medikamenten, darunter solche, die das Immunsystem bremsen, antiallergische Medikamente sowie Medikamente, die an Herz und Lunge ansetzen. Auch Rehabilitation und Psychotherapie dürften bei entsprechend ausgewählten Patientinnen und Patienten einen Stellenwert haben. Insgesamt habe sich zuletzt zwar einiges getan. Dennoch sei es weiterhin schwierig, Post-COVID-Studien durchzuführen, so Scheibenbogen. Die Herausforderungen liegen in Erfolg versprechenden Studiendesigns und auch finanziellen Mitteln: „Es gibt kaum Unternehmen, die ein Interesse an Post-COVID-Studien haben.“
Basiert auf einem Artikel von Philipp Grätzel für DocCheck.com