DIE URSACHEN FÜR DIE ERKRANKUNG SIND IN ETWA DER HÄLFTE DER FÄLLE UNBEKANNT.
Mach dich nicht verrückt“, riet der Hausarzt seinem Bekannten. Der musste beim Bergsteigen, das ihn auch als über 60-Jährigen noch auf Viertausender führte, immer häufiger um Luft ringen. „Deine Lunge funktioniert gut, das hat der Facharzt bestätigt.“ Der Patient bestand trotzdem auf einer Überweisung zum Chirurgen, um der Sache durch eine Lungenbiopsie auf den Grund gehen zu lassen. Und leider zeigte die Gewebeprobe das typische Muster einer idiopathischen pulmonalen Fibrose (IPF). Das hauchdünne Bindegewebe in den äußersten Verzweigungen des Lungenbaums erschien stellenweise wie mit dem Stift nachgezogen und zu Honigwaben verformt. Dort, wo ihm frischer Sauerstoff zuströmt und es sich stützend um Lungenbläschen und Blutgefäße schlingt.
Idiopathisch heißt: Ursache unbekannt. Das ist bei der Hälfte aller Lungenfibrosen der Fall. Vor allem ältere Männer erkranken daran. Ihre Lunge vernarbt und verhärtet, sie spüren einen zunehmend heftigen Widerstand beim Luftholen, die Kapazität ihrer Lunge nimmt kontinuierlich ab. „Wer sportlich aktiv ist, bemerkt das früher als Menschen, die sich so wenig bewegen, dass ihnen die Abnahme ihrer Lungenreserven nicht auffällt“, sagt Professor Günther. Die Lungenfunktion des Bergsteigers zum Beispiel sei nach der Diagnose zehn Jahre lang nur allmählich abgefallen. Erst nach einer schweren Atemwegsinfektion habe sie sich rapide verschlechtert. „Für viele Patientinnen und Patienten ist eine solche Infektion aber erst das Schlüsselereignis, das sie zum Doktor treibt.“ Nicht selten kämen sie dann nach Luft hechelnd und von einem quälenden Reizhusten geplagt mit einer schon mehr als halbierten Lungenkapazität in die Ambulanz. „Diese Patientinnen und Patienten haben nach der Diagnose einer IPF nicht mehr lange zu leben“, sagt Günther. „Ihre Prognose ist schlechter als bei den meisten Krebserkrankungen.“
Kontraproduktive Entzündungshemmer
Dabei haben sich die Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert seit Andreas Günther vor 20 Jahren zum Leiter des Schwerpunktbereichs „Fibrosierende Lungenerkrankungen“ an der Universität Gießen ernannt wurde. Er gestaltet die Forschung auf diesem Gebiet seitdem maßgeblich mit. Die klinische Forschung spielt dabei in mehrfacher Hinsicht eine Hauptrolle. Weil man annahm, dass die IPF als Folge einer chronischen Entzündung der Lungenbläschen entsteht, wurde sie einst mit einer Triple-Therapie aus einem Kortisonpräparat, einem zweiten Immunsuppressivum und N-Acetylcystein behandelt. Das endete schlagartig, als 2012 in den USA das Zwischenergebnis einer klinischen Studie publiziert wurde, wonach es in der Patientengruppe, die mit diesen drei Medikamenten behandelt worden war, viel mehr Todesfälle gegeben hatte als in der Gruppe, die wirkstofffreie Scheinpräparate, so genannte Placebos, erhalten hatte. „Heute wissen wir, dass bei der IPF die Entzündung nicht das grundlegende Problem ist“, erklärt Professor Günther. „Vermutlich stehen das vorschnelle Altern und Absterben von Typ-II-Alveolarzellen im Vordergrund.“ Diese inneren Deckzellen der Lungenbläschen produzieren mit dem Surfactant-Schleim nicht nur permanent das „Spüli der Lunge“, welches das Atmen bei normalen Druckverhältnissen überhaupt erst möglich macht, sie bilden auch ein Stammzell-Reservoir für die Regeneration des Alveolarraumes. Auf ihren Untergang und das nachfolgende Reparaturversagen reagieren benachbarte Bindegewebszellen mit übermäßigem Wachstum. Diesem Mechanismus scheint manchmal eine erbliche Veranlagung zugrunde zu liegen, oft aber auch Risikofaktoren wie Tabakrauch oder schädliche Umweltpartikel.
Ein gesunder Mensch kann nach einer sehr tiefen Einatmung etwa drei bis viereinhalb Liter Luft ausatmen. Diese sogenannte forcierte Vitalkapazität nimmt bei Fibrose-Patientinnen und -Patienten stark ab: Sie verlieren pro Jahr rund 100 bis 150 Milliliter dieses Volumens.
DIE MÖGLICHKEITEN ZUR BEHANDLUNG HABEN SICH BEREITS DEUTLICH VERBESSERT.
Verdopplung der Überlebenszeit
Zur Erleichterung vieler Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten wurden zwischen 2011 und 2015 auf der Basis großer klinischer Studien zunächst in Europa und dann in den USA zwei Medikamente zugelassen, die speziell zur Behandlung der IPF entwickelt worden waren. Beide hemmen eine Reihe molekularer Botenstoffe, die dem Bindegewebe der Lunge befehlen zu wachsen. Beide können das Fortschreiten der Vernarbung zwar nicht stoppen, aber verlangsamen. Die Maßzahl dafür ist die forcierte Vitalkapazität (FVC). Sie gibt an, wieviel Liter Luft ein Mensch nach einer sehr tiefen Einatmung mit voller Kraft ausatmen kann. Beim gesunden Erwachsenen sind das je nach Alter, Größe und Geschlecht drei bis viereinhalb Liter. „IPF-Patienten verlieren 100 bis 150 Milliliter dieses Volumens pro Jahr“, sagt Günther. „Die beiden antifibrotischen Medikamente Pirfenidon und Nintedanib sind etwa gleich wirksam. Sie verringern diesen Verlust um 50 Prozent.“ Das klinge in absoluten Zahlen nach einem nur kleinen Luftgewinn, bedeute aber: „IPF-Patienten, die mit einem dieser Medikamente behandelt werden, leben doppelt so lang.“
Ein unerwarteter Lichtblick
Ausgehend von dieser Erfahrung entwickelten Professor Andreas Günther und Professor Jürgen Behr (LMU München) vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung die Idee, die Wirksamkeit von Pirfenidon auch bei Patienten mit Fibrosen zu prüfen, die zum Beispiel im Gefolge von Autoimmunkrankheiten, allergischen Reaktionen oder Asbestexposition auftreten. Sie werden zum Teil durch eine Entzündung ausgelöst. Das unterscheidet sie von der IPF, der sie aber in ihrem klinischen Verlauf ähnlich sind. Patienten mit solchen Fibrosen, deren Lungenvernarbung trotz der Gabe von Kortison immer weiter fortschritt, wurden in der vom DZL organisierten RELIEF-Studie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt, die zusätzlich zur Standardtherapie entweder Pirfenidon oder ein Placebo erhielten. Laut Studienprotokoll hätten ab April 2016 in 17 deutschen Lungenkliniken 374 Patienten in die RELIEF-Studie aufgenommen werden müssen, um statistisch belastbare Aussagen treffen zu können – ein anspruchsvolles Ziel für seltene Krankheiten. Tatsächlich hatte man zweieinhalb Jahre später erst 127 Menschen rekrutiert. „Weil es zu lange gedauert hätte, die Studie formal zu Ende zu führen und weil daher kein signifikantes Ergebnis mehr erwartet werden konnte, wurde die Studie abgebrochen“, sagt Professor Günther.
IPF-PATIENTEN, DIE MIT EINEM DIESER MEDIKAMENTE BEHANDELT WERDEN, LEBEN DOPPELT SO LANG.
Die sorgfältige statistische Auswertung der Zwischenergebnisse ergab dann aber doch, dass Pirfenidon die Abnahme der FVC signifikant verlangsamt hatte – ein Befund, der medizinisch so wichtig ist, dass ihn die renommierte Fachzeitschrift „The Lancet“ publizierte. Zeitgleich wurden auch Studien mit dem anderen Wirkstoff Nintedanib bei Patienten mit zunehmenden Lungenfibrosen unterschiedlicher Ursache durch die Pharmaindustrie durchgeführt. Deren Ergebnisse zeigten ebenfalls eine signifikante Verlangsamung des Verlaufes und haben bereits zur Zulassung von Nintedanib bei diesen Formen geführt. „Wenn Patientinnen und Patienten mit diesen seltenen Fibrosen auf die Behandlung mit zum Beispiel immunsuppressiven Medikamenten nicht ansprechen“, so Günther, „haben wir also nun mit dem hierfür zugelassenen Nintedanib beziehungsweise dem noch nicht zugelassenen Pirfenidon Mittel für die Behandlung dieser Formen fibrosierender Lungenerkrankungen an der Hand.“
Klinische Studien stimmen zuversichtlich
Für Mediziner wie Andreas Günther, die das mit Lungenfibrosen verbundene Leid täglich erleben, sind die Folgen einer klinischen Studie wie RELIEF nicht hoch genug einzuschätzen. Denn sie verschaffen vielen Patientinnen und Patienten, die von Tag zu Tag weniger wissen, woher sie die Kraft zum Atmen überhaupt noch nehmen sollen, zumindest vorübergehend mehr Luft. „Fibrosen stellen ein sehr kompromittierendes Krankheitsbild dar“, sagt Günther. „Sie bringen den betroffenen Patienten großes Leid und Siechtum.“ Als letzte Rettung verbleibt zwar theoretisch eine Lungentransplantation. Praktisch kommt sie jedoch meist nur für einen kleinen Kreis der betroffenen Patientinnen und Patienten überhaupt in Frage. Umso wichtiger ist es, Medikamente zu entdecken und klinisch zu erforschen, die so präzise wie möglich an den molekularen Ursachen ansetzen. Die tief in Signalkaskaden innerhalb der Bindegewebszellen der Lunge eingreifen oder – näher am Ursprung der Krankheit – Befehlsketten unterbrechen, die zum Absterben der Alveolarzellen führen. Auf diesen Gebieten ist derzeit laut Günther zum Glück „viel Dampf unter dem Deckel“, nicht nur in der akademischen Forschung. Auch die Pharmaindustrie zeige großes Interesse, zahlreiche klinische Studien seien im Gange. „Wir erwarten deren Ergebnisse mit Zuversicht“, sagt Professor Günther. „Schon in einigen Jahren kann es uns vielleicht gelingen, den fortschreitenden Verfall der Lungenfunktion bei der IPF und den ihr ähnlichen Fibrosen komplett zu stoppen."
SCHON IN EINIGEN JAHREN KÖNNTE DER FORTSCHREITENDE VERFALL DER LUNGENFUNKTION GESTOPPT WERDEN.