SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Jeder Tag bringt uns neue Einsichten

WELCHE FAKTOREN ENTSCHEIDEN BIS INS HOHE ALTER ÜBER DIE MENSCHLICHE GESUNDHEIT? DAS UNTERSUCHT SEIT 2016 EINE DER WELTWEIT GRÖSSTEN UND INNOVATIVSTEN GESUNDHEITSSTUDIEN:
DIE RHEINLAND STUDIE DES DEUTSCHEN ZENTRUMS FÜR NEURODEGENERATIVE ERKRANKUNGEN E. V. (DZNE).
Ihre Leiterin Monique M. B. Breteler erklärt im Interview, was diese Untersuchung einzigartig macht und welche Erkenntnisse sie schon heute bietet.
MITHILFE VON NEUEN METHODEN KANN DAS ZUSAMMENSPIEL VON GENETISCHEN VORBEDINGUNGEN, LEBENSSTIL UND PERSÖNLICHEM VERHALTEN SOWIE UMWELT UNTERSUCHT WERDEN.
Frau Breteler, für die Rheinland Studie lassen sich bis zu 30.000 Menschen über Jahrzehnte hinweg immer wieder von Kopf bis Fuß untersuchen. Gibt es schon jetzt Erkenntnisse, die Sie überraschen?
Uns bringt derzeit jeder einzelne Tag neue Einsichten – das ist an dieser Studie so großartig. Mich fasziniert, dass wir in der Forschung ja wissen, welche Faktoren über Gesundheit oder Krankheit eines Menschen entscheiden. Grob gesagt: Es kommt auf die Umwelt an, auf genetische Vorbedingungen, auf persönliches Verhalten und Lebensstil. Neu ist aber, dass wir inzwischen die Methoden haben, mit denen wir das Zusammenspiel all dieser Faktoren untersuchen können. Denn Aspekte wie gesunder Schlaf und Ernährung lassen sich nicht einzeln betrachten. Deshalb helfen uns auch Beobachtungen an Mäusen oder aufwendig berechnete Modelle nur bedingt weiter. Die Interaktion ist entscheidend und die können wir nur mithilfe von Daten untersuchen, wie wir sie bei der Rheinland Studie erheben.
Sie untersuchen Tausende Faktoren – vom Blutdruck bis zum Gehörsinn. Wie lange müssen Sie Daten sammeln, bis Sie von allen diesen Informationen in vollem Umfang profitieren können?
Wir profitieren jetzt schon von den Daten, die wir erheben. Ein wichtiges Ziel der Studie ist es zu verstehen, was bestimmt, ob jemand gesund oder ungesund alt wird. Auch aus Querschnittsuntersuchungen lassen sich relevante Rückschlüsse über mögliche Zusammenhänge und Einflüsse verschiedener Faktoren ziehen. Die geplante Laufzeit von mehr als 30 Jahren bedeutet nicht, dass die Studie erst nach Jahrzehnten relevant wird, sondern dass wir damit andere, umfassendere Fragen beantworten können. Wir wissen, dass sich eine Demenzerkrankung über mehrere Jahre beziehungsweise Jahrzehnte hinweg entwickelt. Um zu verstehen, was im Laufe dieser Zeit passiert, brauchen wir Langzeituntersuchungen. Es gibt 80-Jährige, die sind so vital und fit wie 50-Jährige. Andere leiden unter Erkrankungen oder einer beginnenden Demenz. Da können wir künftig rückblickend feststellen, ab wann sie sich auseinanderentwickelt haben und an welchen Faktoren sich das bemerkbar gemacht hat. Bei anderen Probanden sehen wir möglicherweise auch schon während der Studie, dass Veränderungen im Gehirn auftreten, und können die Entwicklung beeinflussen. Die Studie hilft also nicht nur in der Zukunft, sondern ganz konkret auch heute schon.
Es gibt in Deutschland eine weitere große Studie, bei der Probanden über viele Jahre hinweg untersucht werden: die Nationale Kohorte. Sind wirklich zwei so aufwendige Studien gleichzeitig notwendig?
Beide Studien unterscheiden sich erheblich. Die Nationale Kohorte umfasst zum Beispiel viel mehr Personen, aber diese werden nicht so häufig und nicht so detailliert untersucht wie bei unserer Studie. Und während die Nationale Kohorte als Ressource gedacht ist, von der Gesundheitsforscher aus allen Bereichen profitieren können, konzentrieren wir uns dezidiert auf neurodegenerative Erkrankungen und auf Veränderungsprozesse über das gesamte Erwachsenenleben. Bei der Rheinland Studie wird das Gehirn jedes einzelnen Probanden eine Stunde lang im MRT gescannt. Ein Team aus Physikern, Neurowissenschaftlern und anderen Experten hat eigens dafür über viele Jahre hinweg ein Protokoll entwickelt, wie wir bei dem Scan vorgehen und was wir dabei erfassen. Das sind unwahrscheinlich detaillierte Untersuchungen, die es anderswo einfach nicht gibt.
Wie setzen Sie das praktisch um?
Wir haben zwei Studienzentren, in denen die Mitarbeiter 70 Stunden pro Woche die Untersuchungen durchführen. Jeder Teilnehmer soll alle drei bis vier Jahre erneut eingeladen werden, sodass wir fortlaufend Daten gewinnen und Veränderungen nachverfolgen können. Sobald wir also den letzten Teilnehmer zum ersten Mal untersucht haben, kommen schon wieder die ersten Teilnehmer zu einem Folgetermin.
Von den Probanden lagern Sie Bioproben wie Blut und Speichel über Jahrzehnte hinweg ein. Wann dürfen künftige Forscher damit arbeiten?
Wir arbeiten schon jetzt mit unseren Bioproben. Wenn es wichtige Fragen gibt, die wir mit Analysen der Proben beantworten können, greifen wir darauf zu. In der Zukunft kann es zwei weitere Anlässe geben: Entweder es kommen neue Technologien auf, mit denen wir die Proben besser oder auf neue Faktoren untersuchen können; die Technik schreitet auf diesem Gebiet gerade rasend schnell voran. Oder aber künftige Forscher begeben sich mit den Bioproben auf eine Art Zeitreise um einige Jahre oder Jahrzehnte zurück, um Krankheitsverläufe nachvollziehen zu können.
Vermissen Sie in Ihrer Forschung manchmal Daten, die Ihre Vorgänger vor 30 Jahren hätten sammeln müssen?
Natürlich wäre es toll, wenn die Daten, die wir jetzt sammeln, schon damals in dieser Qualität erhoben worden wären. Aber ernsthaft: Wissenschaft denkt voraus. Ich beschäftige mich deshalb weniger mit dem, was hätte gemacht werden können, als vielmehr damit, wie wir unsere jetzige Studie so aufbauen können, dass sie auch in Zukunft möglichst großen Nutzen bringt.
Ein Nutzen, auf den Sie mit Ihren Kollegen hoffen, sind neue Erkenntnisse im Bereich der Prävention von neurodegenerativen und altersbedingten Erkrankungen. Welche Daten brauchen Sie dafür?
Ein Schwerpunkt liegt darauf zu schauen, wie sich physiologische Faktoren über die Lebensspanne hinweg ändern und was die Resilienz gegen Krankheiten bestimmt. Die aktuelle Forschung konzentriert sich typischerweise auf die Pathophysiologie, also auf Krankheitsprozesse und abnormale Funktionen. Wir wissen jedoch überraschend wenig über die normalen Funktionen von Individuen und darüber, wie sie sich im Laufe des Lebens ändern. Klinische Symptome von Krankheiten lassen sich meistens nur teilweise durch pathophysiologische Veränderungen erklären. Wir wollen besser verstehen, was sowohl die Anfälligkeit als auch die Resistenz gegenüber bestimmten Krankheiten antreibt.
Was kann jeder selbst zur Prävention beitragen?
In jüngster Zeit hat es Studien gegeben, die zur Einschätzung kamen, dass allein mit dem Wissen, das wir jetzt schon haben, das gesamte Risiko in der Bevölkerung für neurodegenerative Erkrankungen um etwa 30 Prozent reduziert werden kann. Da geht es um einen gesunden Lebensstil, um die Kontrolle von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und so weiter. Das sind Dinge, die allgemein die Gesunderhaltung unterstützen und auch gut für das Gehirn sind. Das allgemeine Risiko kann man aber nicht eins zu eins auf das Risiko einer bestimmten Person übertragen. Das individuelle Erkrankungsrisiko wird für jeden einzelnen Menschen von einer Vielfalt teilweise sehr unterschiedlicher Faktoren bestimmt. Um diese Faktoren zu identifizieren und herauszufinden, wie sie interagieren, ist noch mehr Forschung notwendig.
Und wie sieht die Rolle der Forschung aus?
Ich bin überzeugt, dass es in Zukunft viel gezieltere, auf jeden Patienten individuell zugeschnittene Empfehlungen geben wird – und konkrete Interventionsmöglichkeiten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, für das wir 50 Jahre in der Zeit zurückgehen müssen. Damals war Bluthochdruck ein riesiges Problem. Dann kamen erste Medikamente auf den Markt, die den Blutdruck regulieren, und sie hatten einen großen Effekt für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine ähnliche Entwicklung könnte im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen greifen: Sobald wir besser verstehen, welche Mechanismen sie verursachen und wie sie ineinandergreifen, können wir nicht nur durch Verhaltensänderungen präventiv handeln, sondern auch durch gezielte Eingriffe – so wie es bei den Herz-Kreislauf-Patienten durch die Blutdruck-Medikamente möglich war.
Monique M. B. Breteler ist Neuro-Epidemiologin. Die Niederländerin ist am DZNE Direktorin für Populationsbezogene Gesundheitsforschung und leitet die Rheinland Studie. Darüber hinaus ist sie Professorin an der Universität Bonn und an der Harvard T.H. Chan School of Public Health in den USA.

Die Rheinland Studie

Die Rheinland Studie ist eine der weltweit aufwendigsten Bevölkerungsstudien. Bis zu 30.000 Menschen ab einem Alter von 30 Jahren werden über mehrere Jahrzehnte hinweg regelmäßig untersucht – das Spektrum reicht von MRT-Aufnahmen des Gehirns über Tests der kognitiven Fähigkeiten bis hin zu einem Check des Herz-Kreislauf-Systems. Ziel ist ein besseres Verständnis von Gesundheit und Krankheit im Verlauf des menschlichen Lebens.
DIE UNTERSUCHUNGEN SIND SEHR DETAILLIERT, NUTZEN MODERNSTE METHODEN UND WURDEN VON ERFAHRENEN EXPERTENTEAMS INDIVIDUELL AUSGEARBEITET.
Die Ergebnisse sollen unter anderem in die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson und andere altersbedingte Erkrankungen einfließen. Die Teilnehmer stammen aus zwei regional definierten Untersuchungsgebieten in Bonn. Hinter der Studie steht das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Bei ihrem Besuch in den Untersuchungszentren absolvieren die Probanden eine ganze Reihe von Untersuchungen. Sie werden von geschulten Studienassistenten zu ihrem körperlichen und psychischen Befinden befragt und kognitive Funktionen werden getestet. Parameter wie Körpergewicht und Blutdruck werden erfasst, die Muskelkraft gemessen und Blut abgenommen. Es folgen neurologische Untersuchungen, zum Beispiel von Gleichgewicht, Gang und Augenmotorik. Auch Hörvermögen, Geruchssinn oder die Bauchfettverteilung werden in die Analysen einbezogen.
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