SYNERGIE – Forschen für Gesundheit
Das Magazin der DZG

Wenn erst einmal der Wurm drin ist

In Zusammenarbeit mit Partner-Institutionen in Afrika entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) neue Therapien für Krankheiten, die durch parasitäre Würmer ausgelöst werden – unter ihnen die Afrikanische Augenwurmkrankheit.
Loa loa – das klingt nach einer Südseeinsel mit endlos weißen Stränden oder einem hawaiianischen Vulkan. Leider nicht: Loa loa ist ein fieser, parasitärer Fadenwurm, der im tropischen West- und Zentralafrika vorkommt und dessen Larven von der afrikanischen Pferdebremse Chrysops auf den Mensch übertragen werden. Ausgewachsene Exemplare – die Männchen werden rund 35, die Weibchen 70 Millimeter lang – verbleiben dann bis zu 15 Jahre im Körper. Dabei erzeugen sie immer wieder millionenfachen Nachwuchs in Form von winzigen Larven, so genannten Mikrofilarien. „Sie sind im Blut am besten zwischen 10 und 15 Uhr nachzuweisen, weil die Bremsen dann besonders häufig stechen. Die Larven haben sich darauf eingestellt und schwärmen zu dieser Zeit in die peripheren Blutgefäße aus“, sagt Professor Michael Ramharter, Leiter der Abteilung für Klinische Forschung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin sowie der Sektion Tropenmedizin am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf und Koordinator des Forschungsbereichs „Malaria und vernachlässigte Tropenkrankheiten“ am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). Professor Achim Hörauf, DZIF-Filarienexperte und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie an der Universität Bonn, ergänzt: „In der Bremse durchlaufen die Mikrofilarien zwei weitere Larvenstadien. Durch erneuten Stich gelangen dann wieder ein paar in einen Menschen, in dessen Gewebe sie sich zu adulten Würmern entwickeln.“

Auf der Suche nach einem angenehmen Plätzchen wandern die Würmer durch Unterhautfettgewebe und Faszien. Das alarmiert das Immunsystem und führt zu wiederkehrenden Entzündungen an Armen und Beinen – den Kalabar-Schwellungen. Weit unangenehmer ist aber die Augenwanderung, die bis zu zwei Tage dauern und sehr schmerzhaft sein kann. Loa loa, auch „afrikanischer Augenwurm“ genannt, ist dann in der Augenbindehaut tatsächlich sichtbar. „Fotos davon zeige ich gern nach dem Mittagessen in der Vorlesung. Dann sind die Studierenden schnell wieder voll da“, sagt Hörauf schmunzelnd. Doch Spaß beiseite: Loiasis, die von Loa loa ausgelöste Infektion, von der in endemischen Gebieten bis zu 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, ist eine derart vernachlässigte Tropenkrankheit, dass sie es nicht mal auf die WHO-Liste der Neglected Tropical Diseases (NTD) geschafft hat.

Langjährige Krankheitsbeschwerden

Denguefieber, Lepra, Onchozerkose – die Flussblindheit – und lymphatische Filariasis, die so genannte Elefantiasis, sowie Tollwut oder Krätze – sie alle stehen auf der Liste, haben oft kurzfristig schlimmere Folgen, können gar tödlich sein. Aber eine durch Professor Ramharter initiierte und gemeinsam mit dem Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) in Gabun durchgeführte Querschnittsstudie zeigte erstmals, dass die Krankheitslast bei Loiasis nicht geringer ist – nur eben subtiler. Da die Würmer über viele Jahre im Körper bleiben, leiden die Infizierten über einen langen Zeitraum unter diversen Beschwerden: Juckreiz, Gelenkschmerzen, generelle Müdigkeit, Kopf- und Augenschmerzen sowie vorübergehende Schwäche der Extremitäten. Wie eine französische Studie zeigte, sterben Patientinnen und Patienten mit hoher Mikrofilarienlast auch früher als Nicht-Infizierte.

Während jährlich Milliarden Dollar in die Erforschung und Bekämpfung der „Top 3“ – Malaria, HIV und Tuberkulose – fließen, sieht es bei den NTD sehr mau aus. Kein Wunder, denn allein die 68 Millionen Menschen, die an Elephantiasis leiden, bei der durch Lymphstau Körperteile unheilbar abnorm anschwellen, und jene 21 Millionen mit Flussblindheit leben fast ausschließlich in den entlegensten Gebieten Afrikas und Südostasiens. Das sind Regionen, in denen die Pharmaindustrie keine hohen Gewinne erzielen kann. „Und so kommt es, dass in den letzten 30 Jahren weniger als 0,1 Prozent der neuentwickelten Medikamente gegen Tropenkrankheiten helfen“, sagt Achim Hörauf.
LOA LOA, AUCH „AFRIKANISCHER AUGENWURM“ GENANNT, IST DANN IN DER AUGENBINDEHAUT TATSÄCHLICH SICHTBAR.
Wenn man sich vorstellt, dass in Berlin oder Paris viele Menschen mit Würmern im Auge herumlaufen würden, wäre das Engagement gegen diese Erkrankung sicher größer. Michael Ramharter erklärt: „Das kommt selbst bei Reiserückkehrern nur sehr selten vor. Aber wenn, dann geht es meistens sofort in die Notaufnahme, etliche Ärzte rennen hektisch um den Patienten herum und machen eine Not-OP.“

Plan zur Ausrottung der Flussblindheit durchkreuzt

Die WHO schätzt, dass derzeit rund 13 Millionen Menschen mit Loa loa infiziert sind. Trotzdem wuchs das Interesse an diesem Wurm erst, als bei Kontrollprogrammen gegen Flussblindheit – Massenbehandlungen von 200 bis 300 Millionen Menschen mit dem Antiparasitikum Ivermectin – einige plötzlich schwer erkrankten und es sogar Todesfälle gab. „Die Betroffenen waren schwer mit Loa loa koinfiziert und die Therapie führte zu heftigen Hirnentzündungen“, erläutert Michael Ramharter. Damit war klar: Loa loa wird den Plan zur Ausrottung der Flussblindheit durchkreuzen.
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Gemeinsam mit afrikanischen Partnerinstitutionen des DZIF in Gabun, Ghana, Burkina Faso, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo arbeiten DZIF-Forscher an den Standorten Bonn, Hamburg, Tübingen, München und Heidelberg an besserer Diagnostik und neuen Wirkstoffen gegen diverse tropische Parasiten. Die winzigen Wurmlarven mit einem Antiparasitikum abzutöten ist möglich, löst aber nicht das eigentliche Problem. „Denn die adulten Würmer schütteln Ivermectin sozusagen ab und produzieren immer wieder neue Larven“, sagt Hörauf. Vor einigen Jahren entdeckte sein Team zusammen mit afrikanischen Kollegen, dass diverse Filarien-Arten in Symbiose mit Wolbachia-Bakterien leben, die für sie essentielle Substanzen produzieren.„Behandelt man die Patientinnen und Patienten vier Wochen lang mit dem Antibiotikum Doxycyclin, sterben diese Endosymbionten ab. Die Würmer werden erst unfruchtbar und verenden dann ebenfalls.“

2009 hatte Hörauf mit Corallopyronin A ein neues Antibiotikum in Bakterien entdeckt, das gegen viele Filarienarten wirksam ist. Gefördert vom DZIF soll der Wirkstoff ab 2024 in klinischen Studien getestet werden. Doch Loa loa können weder Doxycyclin noch Corallopyronin A etwas anhaben. Denn dieser Fadenwurm war so raffiniert, sich schon vor Jahrmillionen die entsprechenden hilfreichen Gene der Bakterien zu Nutze zu machen und in sein eigenes Genom einzubauen.

Antiparasitika im Tropentest

Achim Hörauf und Michael Ramharter forschen seit mehr als 20 Jahren an vernachlässigten Tropenkrankheiten. Am CERMEL in Gabun – wo Albert Schweitzer 1913 sein Hospital gründete und der Tübinger Tropenmediziner Professor Peter Kremsner gemeinsam mit afrikanischen Kollegen seit 1992 eines der führenden Zentren für klinische Forschung in der zentralafrikanischen Region aufbaute – werden sie nun gemeinsam zwei klinische Studien durchführen. Finanziert von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sollen Therapien mit Ivermectin und dem neueren Breitband-Antiwurmmittel Albendazol verglichen werden. In der zweiten Studie, die vom DZIF finanziert wird, muss Ivermectin gegen einen potenteren Nachfolger antreten. „Moxidectin hat eine viel längere Halbwertszeit und wirkt somit länger als Ivermectin gegen die späteren Larvenstadien“, erklärt Achim Hörauf. „Nur dem adulten Wurm ist es leider wieder egal.“ Aber immerhin, ein guter Schritt voran. Das Ziel: eine Einzeldosis einmal pro Jahr oder sogar nur alle zwei Jahre, um die Übertragung des afrikanischen Augenwurms zu stoppen. Wie bei anderen NTD-Projekten des DZIF ist auch bei diesen Studien das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg involviert.

Ethisch und regulatorisch unterscheiden sich klinische Studien in Ländern des Südens, sofern sie dort durch Zulassungsbehörden stringent reguliert werden, nicht von Studien in Europa – in der praktischen Umsetzung jedoch schon. Randomisierte, placebokontrollierte Studien sind ein Konzept der westlichen Medizin. „Es braucht Zeit, das zu erklären und Verständnis dafür zu vermitteln, dass jemand durch Zufall auch nur ein Placebo erhalten kann.“ In Afrika werden bevorzugt Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger aus der entsprechenden Region dafür gewonnen. „Außerdem rekrutieren wir Leute aus den Dörfern, die wir ausbilden“, erklärt Michael Ramharter. „Ihre Aufgabe ist es, die Probandinnen und Probanden jeden Tag aufzusuchen, um zu sehen, wie es ihnen geht und ob sie die Tabletten auch einnehmen.“

Moxidectin ist bereits gegen die Flussblindheit zugelassen. Sollte die Studie erfolgreich sein, wäre eine Zulassungserweiterung gegen Loiasis also recht schnell möglich. Ob die Infizierten die Therapie auch annehmen, steht auf einem anderen Blatt. Loiasis ist einer der häufigsten Gründe, warum Menschen in den endemischen Gebieten das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen. Bisher konnte man ihnen dort zumeist keine Lösung anbieten, weshalb viele auf traditionelle Phytotherapie vertrauen. Ob sie sich zurückgewinnen lassen, um in Massenprogrammen behandelt zu werden, wird sich zeigen.
LOIASIS IST EINER DER HÄUFIGSTEN GRÜNDE, WARUM MENSCHEN IN DEN ENDEMISCHEN GEBIETEN DAS GESUNDHEITSSYSTEM IN ANSPRUCH NEHMEN.

AFRIKANISCHE PARTNER-INSTITUTIONEN DES DEUTSCHEN ZENTRUMS FÜR INFEKTIONSFORSCHUNG

In langjährigen Kooperationen mit vier Partner-­Institutionen in Afrika erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am DZIF neue Diag­nostika, Therapien und Impfstoffe zu Malaria, Tuberkulose, HIV/AIDS und Infektionen mit parasitischen Wür­mern und Bakterien. Zu den Einrichtungen in Afrika gehören Kliniken und Forschungszentren in Kumasi (Ghana), Lambaréné (Gabun), Nouna (Burkina Faso) und Mbeya (Tansania).

KCCR

Am Kumasi Centre for Collaborative Research in Tropical Medicine (KCCR) in Ghana konzentriert sich die Forschung auf Malaria, Wurmerkrankungen wie Flussblindheit und Elefantiasis, Tuberkulose, Salmonellose, Schlangen­ bisse und Buruli Ulcer sowie tropische Viruserkrankungen mit Pandemie­potenzial. In Zusammenarbeit mit dem Bernhard­Nocht­Institut für Tropen­medizin führt das KCCR epidemiolo­gische und klinische Studien durch.
Auch in die kleinen Krankenhäuser auf dem Land in der Nähe der Infektionsgebiete wird die nötige Laborausstattung transportiert (hier: zur Untersuchung und Dokumentation von Gewebeproben).

CERMEL

Am Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) in Gabun steht die Untersuchung von parasitischen Krankheiten wie Malaria, Schistoso­ miasis (auch bekannt als Bilharziose), intestinalen Infektionen mit parasi­ tischen Würmern, Tuberkulose und bakteriellen Infektionen im Fokus. In Zusammenarbeit mit dem DZIF und der Universität Tübingen wurde in den vergangenen 30 Jahren eine Vielzahl an klinischen Studien der Phasen I–III für die Entwicklung neuer Medikamen­te und Impfstoffe durchgeführt.
Untersuchung von Patienten im Rahmen einer Tuberkulose-Studie am CERMEL.

CRSN

Das Centre de Recherche en Santé de Nouna (CRSN) in Burkina Faso wurde Anfang der 1990er­ Jahre als Koopera­tionsprojekt zwischen der Universität Heidelberg und dem Gesundheitsmi­nisterium von Burkina Faso gegründet. Im Fokus gemeinsamer Projekte mit dem DZIF stehen die Erforschung und Behandlung von Malaria, HIV/AIDS und bakterieller Meningitis.
Rekrutierung von Studienteilnehmern: Mitglieder einer Gemeinde im Nouna-Gesundheits- und Demografieüberwachungsgebiet werden über die Zielsetzung und Probensammlung im Rahmen einer Studie zu Antibiotikaresistenz informiert.

MMRC

Das Mbeya Medical Research Center (MMRC) in Tansania forscht zu HIV/ AIDS, Tuberkulose sowie zu Malaria und anderen Tropenkrankheiten. Gemeinsam mit dem DZIF führt das MMRC unter anderem klinische Stu­dien zu Tuberkulose-­Impfstoffen und ­Medikamenten durch.
In einer Klinik in Tansania werden im Rahmen klinischer Studien neue Malaria-Medikamente und -kombinationen für Schwangere und Kinder – die Hauptleidtragenden der Malaria im tropischen Afrika – untersucht.
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